Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 614

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-1-1/seite/614

Deutschland hat somit eine neue internationale Sendung, ein neues „Evangelium“: mit gepanzerter Faust in fremden Gewässern den Freihandel gegen den Schutzzoll zu verteidigen. Das wäre allerdings eine Mission, gegen die wir nichts einzuwenden hätten; nur dächten wir, daß man mit der Erfüllung dieser hehren Aufgabe doch vor allem bei sich zu Hause anfangen müßte. Bevor wir die Torpedoboote in die anderen Weltteile gegen die Schutzzöllner hinausschicken, dürften die Geschütze gegen die Grundfesten des Schutzzöllnertums – in Ostpreußen gerichtet werden. Die Aufhebung unserer eigenen Getreidezölle würde zum Beispiel die amerikanische Schutzzollpolitik wirksamer erschüttern als hundert Torpedos.

Eine ganz unerklärliche Naivität oder Heuchelei gehört aber dazu, gerade die gegenwärtigen Flottenpläne als ein Bollwerk des Freihandels hinzustellen, da sie bekanntlich einmal am wärmsten durch die kapitalistischen Hauptstützen der Schutzzöllnerei, durch die Eisenindustriellen, empfohlen werden, ferner die Mittel zu ihrer Durchführung durch eine weitere Erhöhung der Getreidezölle aufgetrieben werden sollen, endlich die Agrarier deutlich genug dieselbe Erhöhung der Schutzzölle als Vorbedingung ihrer Zustimmung zu der angekündigten Flottenvorlage bezeichnet haben. Wenn irgendeine, so ist gerade die gegenwärtige Flottenpolitik aufs innigste mit der Schutzzöllnerei verbunden.

Überhaupt ist es für einen „einsichtigen Wirtschaftspolitiker“ eine ganz eigene Ansicht, in den Schlachtflotten ein Mittel der Herbeiführung „des Friedens, des Rechts und der Freiheit“ auf dem Gebiete des Handels zu erblicken. Eine aggressive Weltpolitik geht Hand in Hand mit einer aggressiven Handelspolitik, ebenso wie beide mit einer reaktionären Sozialpolitik im Innern des Staatslebens Hand in Hand gehen. Zwischen diesen drei Erscheinungen – Weltpolitik, Handelspolitik, Sozialpolitik – besteht ein unzerreißbarer logischer Zusammenhang. Die deutsche Arbeiterklasse hat es schon zu ihrem Schaden deutlich genug unter dem Regiment Bismarcks, dieser Vereinigung der Blut-und-Eisen-Politik des Militarismus, der Hochschutzzöllnerei und des Sozialistengesetzes, zu fühlen bekommen, als daß sie darüber noch Zweifel haben könnte. Wer eine fortschrittliche, friedliche Handelspolitik will, muß die Kriegsrüstungen zu Lande und zu Wasser bekämpfen, wer eine friedliche internationale Politik will, muß gegen die Schutzzöllnerei Front machen, und wer eine moderne, fortschrittliche Sozialpolitik will, muß sowohl dem Land- und Wassermilitarismus wie den Schutzzöllen mit aller Macht Widerstand leisten. Der Friede im Handel und Wandel der Völker und der Fortschritt

Nächste Seite »