Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 6

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fruchtbaren Beratungen faßt, in denen Ihr die Mittel und Wege erwägt, welche das Proletariat beider Welten zum erhabenen Ziele, zum Siege der sozialistischen Ideen, führen sollen, auf unsere Lage anwendbar.

Die sozialistische Bewegung im sogenannten Kongreßpolen[1] datiert seit fast 15 Jahren; doch war diese Bewegung bis zu den letzten vier Jahren nicht sozialdemokratisch zu nennen.[2] Die revolutionäre Partei „Proletariat“[3], welcher das hohe Verdienst zukommt, den ersten sozialistischen Strömungen Ausdruck gegeben und sie in ein organisches Ganzes zusammengefaßt zu haben, und welche die Bewegung bis zum Jahre 1889 leitete, hat zwar formell die allgemeinen im Kommunistischen Manifest ausgedrückten Prinzipien anerkannt; doch war es nicht leicht, diese Prinzipien unter neuen Bedingungen in einem Staate, dessen politische Verhältnisse so gänzlich verschieden von denen des westlichen Europas sind, in Anwendung zu bringen. Diese Aufgabe zu lösen ist dieser Partei nicht gelungen. Dabei muß man den Einfluß im Auge behalten, welchen der heroische Kampf der russischen revolutionären Partei „Narodnaja Wolja“ auf unsere Bewegung ausüben mußte. Hat doch dieser heldenmütige Zweikampf der Revolutionäre mit dem allmächtigen Alleinherrscher in ganz Europa höchste Bewunderung hervorgerufen und unwillkürlich Hoffnungen erweckt. Es ist daher nicht zu verwundern, wenn die Polnische Sozialistische Partei, von dem richtigen Standpunkte des gemeinsamen Kampfes mit den russischen Revolutionären ausgehend, vollständig unter den Einfluß jener Partei geriet. Die Folge hiervon war, daß die praktische Tätigkeit und Taktik des „Proletariat“ im Widerspruch mit dem formellen Programm der Ausdruck des utopistisch verschwörerischen Blanquismus wurde.

In den Begriffen der damaligen Revolutionäre fiel der Sturz des Zarentums mit der sozialen Revolution zusammen. Ebenso wie ihre Bruderpartei „Narodnaja Wolja“ waren die damaligen Revolutionäre überzeugt, daß die Revolution durch eine Anzahl entschlossener, tatkräftiger und ziel-

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[1] Kongreßpolen bzw. Königreich Polen: Im Ergebnis der drei Teilungen Polens von 1772, 1793 und 1795 waren die Westgebiete an Preußen und Galizien samt Krakau an Österreich gegangen, das sogenannte Kongreßpolen bzw. „Königreich Polen“ wurde auf dem Wiener Kongreß von 1815 in Personalunion mit Rußland verbunden. Nach dem niedergeschlagenen polnischen Aufstand von 1863 behandelten die zaristischen Behörden jedoch die annektierten polnischen Gebiete nicht mehr weiter als »Königreich«, sondern als bloße Provinzen, die sie administrativ aufspalteten. Die Bezeichnung „Polen“ wurde verboten und nur noch vom „Weichselland“ gesprochen. Zugleich wurde eine Politik der „Russifizierung“ verfolgt. – Im Ausland galt »Kongreßpolen« weiterhin als Synonym für den russisch besetzten Teil Polens. Rosa Luxemburg und Leo Jogiches hingegen zogen den Begriff vom 1867 aufgelösten »Königreich Polen« vor, der einerseits die Gleichberechtigung Polens gegenüber Rußland betonte, andererseits die Unabhängigkeit von den Signatarmächten des Wiener Kongresses – „Kongreßpolen“ – signalisierte. Dementsprechend nannten sie ihre 1893 gegründete Partei „Sozialdemokratie des Königreiches Polen“ (SDKP). 1900 wurde daraus die „Sozialdemokratie des Königreiches Polen und Litauens“ (SDKPiL).

[2] Im Jahre 1889 war in Warschau unter Führung der Sozialdemokraten Julian Marchlewski und Jan Leder der Verband Polnischer Arbeiter (Związek Robotników Polskich) gegründet worden. Er konzentrierte sich zunächst auf den ökonomischen Kampf, leistete eine breite Aufklärungsarbeit unter dem Proletariat und forderte das Bündnis mit den russischen Sozialdemokraten. Der Verband konstituierte sich 1893 mit einem Teil des „II. Proletariat“ zur Sozialdemokratischen Partei des Königreichs Polen (SDKP).

[3] Die 1882 von Ludwik Waryński gegründete erste sozialrevolutionäre Arbeiterpartei im Königreich Polen, genannt das „I.“ oder „Große Proletariat“, wurde 1886 in einer großen Verhaftungswelle zerschlagen. – Das von Marcin Kasprzak gegründete „II.“ oder „Kleine Proletariat“ bestand von 1888 bis 1893.