Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 50

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kapitalistischen, adeligen, naturalwirtschaftlichen Periode. Will man also, daß das Proletariat in Polen dieses Programm beerbt, so ist das soviel, als wollte man in Westeuropa – um eine richtige Parallele zu ziehen –, das Proletariat solle z. B. freiheitliche Bestrebungen der feudalen, vorkapitalistischen Zeit wiederaufnehmen, Bestrebungen, von denen sich nur der ideelle Überbau in die kapitalistische Periode herübergerettet hat, deren materielle Basis und damit die Verwirklichungsmittel aber von derselben in die Vergangenheit unwiderruflich zurückgeschleudert wurden. Dies ist offenbar keine Aufgabe für das Proletariat. Es muß im Gegenteil in seinen Bestrebungen mit beiden Füßen auf dem Boden der kapitalistischen Entwicklung stehen. In Polen aber bringt dieselbe kapitalistische Entwicklung, die das Proletariat erzeugt, Polen selbst in immer festere Verknüpfung mit Rußland. Beide Resultate sind nur zwei Seiten eines und desselben Prozesses. Würde das Proletariat die Unabhängigkeit Polens zu seinem Programm machen, so würde es sich dem ökonomischen Entwicklungsprozeß entgegenstemmen. Derselbe würde ihm dann nicht zur Verwirklichung dieser Aufgabe wie aller seiner Klassenaufgaben verhelfen, sondern, umgekehrt, zwischen ihm und dem Ziel seiner Bestrebungen eine immer größere Entfernung schaffen. Sein endgültiges Ziel, den Sozialismus, das Ergebnis der sozialen Entwicklung, würde es im Rücken haben, und will es das Gesicht diesem Ziel zuwenden, so muß es der Wiederherstellung Polens den Rücken kehren. Von der ökonomischen Entwicklung in Polen haben die nationalen Bestrebungen nichts zu erwarten, höchstens der Stillstand oder, genauer, der Rückgang könnte ihnen wieder einen Nährboden schaffen. Schon daraus ist ersichtlich, daß dies nicht das Programm des Proletariats, sondern dem sozialen Charakter nach nur ein typisches Programm des reaktionären Kleinbürgertums sein kann. Nimmt daher das Proletariat dieses Programm an, so wird es nicht – wie andere meinen – die kleinbürgerlichen Krethi und Plethi um sich gruppieren, sondern umgekehrt, so gering und schwach diese Elemente auch sind, tatsächlich auf ihren Boden hinübertreten.

Wir haben nicht genügend Raum, alle Folgen aus der obigen Skizze zu ziehen. Die wichtigsten sind jedoch:

  1. Die nationalen Bestrebungen in Polen können, abgesehen von ihrer Aussichtslosigkeit, keine ernste Bewegung im Lande selbst schaffen, und daher kann ihnen auch keine irgendwie bedeutende Rolle in der Politik des internationalen Proletariats zugewiesen werden.

  2. Die positiven Aufgaben des polnischen Proletariats gestalten sich ganz analog denjenigen der Sozialdemokratie in allen anderen Ländern: als die

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