Aber in einer Klassengesellschaft ist der Klassenkampf eine ganz natürliche, unvermeidliche Erscheinung – Bernstein bestreitet in weiterer Konsequenz sogar das Bestehen der Klassen in unserer Gesellschaft: Die Arbeiterklasse ist ihm bloß ein Haufen nicht nur politisch und geistig, sondern auch wirtschaftlich zersplitterter Individuen. Und auch die Bourgeoisie wird nach ihm nicht durch innere ökonomische Interessen, sondern bloß durch äußeren Druck – von oben oder von unten – politisch zusammengehalten.
Aber wenn es keinen ökonomischen Boden für den Klassenkampf und im Grunde genommen auch keine Klassen gibt, so erscheint nicht nur der künftige Kampf des Proletariats mit der Bourgeoisie unmöglich, sondern auch der bisherige, so erscheint die Sozialdemokratie selbst mit ihren Erfolgen unbegreiflich. Oder aber sie wird begreiflich gleichfalls nur als Resultat des politischen Regierungsdruckes, nicht als gesetzmäßiges Ergebnis der geschichtlichen Entwicklung, sondern als Zufallsprodukt des Hohenzollernschen Kurses, nicht als legitimes Kind der kapitalistischen Gesellschaft, sondern als Bastard der Reaktion. So führt Bernstein mit zwingender Logik von der materialistischen Geschichtsauffassung zu der der „Frankfurter“ und der „Vossischen Zeitung“.
Es bleibt nur noch übrig, nachdem man der ganzen sozialistischen Kritik der kapitalistischen Gesellschaft abgeschworen hat, das Bestehende wenigstens im großen und ganzen auch befriedigend zu finden. Und auch davor schreckt Bernstein nicht zurück: Er findet jetzt die Reaktion in Deutschland nicht so stark, „ebenso ist in den westeuropäischen Staaten von politischer Reaktion nicht viel zu merken“, „in fast allen Ländern des Westens ist die Haltung der bürgerlichen Klassen der sozialistischen Arbeiterbewegung gegenüber höchstens eine der Defensive und keine der Unterdrückung“ (Vorwärts vom 26. März 1899). Die Arbeiter sind nicht verpaupert[1], sondern im Gegenteil immer wohlhabender, die Bourgeoisie ist politisch fortschrittlich und sogar moralisch gesund, von Reaktion und Unterdrückung ist nichts zu sehen – und alles geht zum besten in dieser besten der Welten.
So kommt Bernstein ganz logisch und folgerichtig von A bis herunter auf Z. Er hatte damit angefangen, das Endziel um der Bewegung willen aufzugeben. Da es aber tatsächlich keine sozialdemokratische Bewegung ohne das sozialistische Endziel geben kann, so endet er notwendig damit, daß er auch die Bewegung selbst aufgibt.
Die ganze sozialistische Auffassung Bernsteins ist somit zusammen-