Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 435

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schen Effekts: der Festhaltung der Gewalt, notwendig „zu früh“ stattfinden. Die verfrühte Revolution, die Bernstein nicht schlafen läßt, bedroht uns wie das Damoklesschwert, und dagegen hilft kein Bitten und Beten, kein Bangen und Warnen[1]. Und zwar aus zwei sehr einfachen Gründen.

Erstens ist eine so gewaltige Umwälzung wie die Überführung der Gesellschaft aus der kapitalistischen in die sozialistische Ordnung ganz undenkbar auf einen Schlag, durch einen siegreichen Streich des Proletariats. Dies als möglich voraussetzen hieße wiederum eine echt blanquistische Auffassung an den Tag legen. Die sozialistische Umwälzung setzt einen langen und hartnäckigen Kampf voraus, wobei das Proletariat allem Anscheine nach mehr als einmal zurückgeworfen wird, so daß es das erste Mal, vom Standpunkte des Endresultats des ganzen Kampfes gesprochen, notwendig „zu früh“ ans Ruder gekommen sein wird.

Zweitens aber läßt sich das „verfrühte“ Ergreifen der Staatsgewalt auch deshalb nicht vermeiden, weil diese „verfrühten“ Angriffe des Proletariats eben selbst ein, und zwar sehr wichtiger Faktor sind, der die politischen Bedingungen des endgültigen Sieges schafft, daß sie eben auch[2] den Zeitpunkt des endgültigen Sieges mitherbeiführen und mitbestimmen. Von diesem Standpunkte erscheint der Begriff selbst einer verfrühten[3] Eroberung der politischen Macht durch das arbeitende Volk als ein politischer Widersinn, der von einer mechanischen Entwicklung der Gesellschaft ausgeht und einen außerhalb und unabhängig vom Klassenkampf bestimmten Zeitpunkt für den Sieg des Klassenkampfes voraussetzt.

Da aber das Proletariat somit gar nicht imstande ist, die Staatsgewalt anders als „zu früh“ zu erobern, oder, mit anderen Worten, da es sie unbedingt einmal[4] „zu früh“ erobern muß, um sie schließlich dauernd zu erobern, so ist die Opposition gegen die „verfrühte“ Machtergreifung nichts als die Opposition gegen die Bestrebung des Proletariats überhaupt, sich der Staatsgewalt zu bemächtigen.

Also auch von dieser Seite [der Bernsteinschen Theorie] gelangen wir folgerichtig, wie durch alle Straßen nach Rom, zu dem Ergebnis, daß die

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[1] 2. Auflage: Zagen.

[2] 2. Auflage: indem das Proletariat erst im Laufe jener politischen Krise, die seine Machtergreifung begleiten wird, erst im Feuer langer und hartnäckiger Kämpfe den erforderlichen Grad der politischen Reife erreichen kann, der es zur endgültigen groben Umwälzung befähigen wird. So stellen sich denn jene „verfrühten“ Angriffe des Proletariats auf die politische Staatsgewalt selbst als wichtige geschichtliche Momente heraus, die auch.

[3] 2. Auflage: erscheint die Vorstellung einer „verfrühten“.

[4] 2. Auflage: eingefügt „oder mehrmals“.