Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 416

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Sozialist, d. h. unter dem geschichtlichen Gesichtspunkte die kapitalistische Wirtschaft ins Auge faßte, konnte er ihre Hieroglyphe entziffern, und weil er den sozialistischen Standpunkt zum Ausgangspunkt der wissenschaftlichen Analyse der bürgerlichen Gesellschaft machte, konnte er umgekehrt den Sozialismus wissenschaftlich begründen.

Daran sind die Bemerkungen Bernsteins am Schlusse seines Buches zu messen, wo er über den „Dualismus“[1] klagt, „der durch das ganze monumentale Marxsche Werk geht“, „einen Dualismus, der darin besteht, daß das Werk wissenschaftliche Untersuchung sein und doch eine lange vor seiner Konzipierung fertige These beweisen will, daß ihm ein Schema zugrunde liegt, in dem das Resultat, zu dem hin die Entwicklung führen sollte, schon von vornhinein feststand. Das Zurückkommen auf das Kommunistische Manifest (d. h. [hier] auf das sozialistische Endziel! – R. L.) weist hier auf einen tatsächlichen Rest von Utopismus im Marxschen System hin.“ (S. 177.)

Der Marxsche „Dualismus“ ist aber nichts anderes als der Dualismus der sozialistischen Zukunft und der kapitalistischen Gegenwart, des Kapitals und der Arbeit, der Bourgeoisie und des Proletariats, er ist die monumentale wissenschaftliche Abspiegelung des in der bürgerlichen Gesellschaft existierenden Dualismus, der bürgerlichen Klassengegensätze.

Und wenn Bernstein in diesem theoretischen Dualismus bei Marx „einen Überrest des Utopismus“ sieht, so ist das nur ein naives Bekenntnis, daß er den geschichtlichen Dualismus in der bürgerlichen Gesellschaft, die kapitalistischen Klassengegensätze, leugnet, daß für ihn der Sozialismus selbst zu einem „Überrest des Utopismus“ geworden ist. Der Monismus Bernsteins ist der Monismus[2] der verewigten kapitalistischen Ordnung, der Monismus[3] des Sozialisten, der sein Endziel fallengelassen hat, um dafür in der einen und unwandelbaren bürgerlichen Gesellschaft das Ende der menschlichen Entwicklung zu sehen.

Sieht aber Bernstein in der ökonomischen Struktur des Kapitalismus selbst den Zwiespalt, die Entwicklung zum Sozialismus nicht, so muß er, um das sozialistische Programm wenigstens in der Form zu retten, zu einer außerhalb der ökonomischen Entwicklung liegenden, zu einer idealistischen Konstruktion Zuflucht nehmen und den Sozialismus selbst aus einer bestimmten geschichtlichen Phase der gesellschaftlichen Entwicklung in ein abstraktes „Prinzip“ verwandeln.

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[1] 2. Auflage: eingefügt „(Zwiespalt)“.

[2] 2. Auflage: Der „Monismus“, d. h. die Einheitlichkeit Bernsteins ist die Einheitlichkeit.

[3] 2. Auflage: , die Einheitlichkeit.