Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 406

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Entwicklung im ganzen und in ihrem Zusammenhange mit dem ganzen Wirtschaftsmechanismus auf, sondern aus diesem Zusammenhange gerissen, im selbständigen Dasein, als disjecta membra (zerstreute Teile) einer leblosen Maschine. So z. B. die Auffassung von der Anpassungswirkung des Kredits. Faßt man ins Auge den Kredit als eine naturwüchsige höhere Stufe des Austausches und im Zusammenhange mit allen dem kapitalistischen Austausch innewohnenden Widersprüchen, so kann man unmöglich in ihm irgendein gleichsam außerhalb des Austauschprozesses stehendes mechanisches „Anpassungsmittel“ sehen, ebensowenig wie man das Geld selbst, die Ware, das Kapital als „Anpassungsmittel“ des Kapitalismus ansehen kann. Der Kredit ist aber nicht um ein Haar weniger als Geld, Ware und Kapital ein organisches Glied der kapitalistischen Wirtschaft auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung und bildet auf dieser Stufe, wieder ganz wie jene, ebenso ein unentbehrliches Mittelglied ihres Räderwerkes wie auch ein Zerstörungswerkzeug, indem es ihre inneren Widersprüche steigert und reproduziert.

Ganz dasselbe gilt von den Kartellen und den vervollkommneten Verkehrsmitteln.

Die gleiche mechanische und undialektische Auffassung liegt ferner in der Weise, wie Bernstein das Ausbleiben der Krisen als ein Symptom der „Anpassung“ der kapitalistischen Wirtschaft hinnimmt. Für ihn sind die Krisen einfach Störungen im wirtschaftlichen Mechanismus, und bleiben diese[1] aus, dann kann offenbar der Mechanismus glatt funktionieren. Die Krisen sind aber tatsächlich keine „Störungen“ im eigentlichen Sinne, oder vielmehr sie sind Störungen, ohne die aber die kapitalistische Wirtschaft im ganzen gar nicht auskommen kann. Ist es einmal Tatsache, daß die Krisen, ganz kurz ausgedrückt, die auf kapitalistischer Basis einzig mögliche, deshalb ganz normale Methode der periodischen Lösung des Zwiespaltes zwischen der unbeschränkten Entwicklungsfähigkeit der Produktivkräfte und den engen Schranken der Verwertung[2] bilden, dann sind auch die Krisen unzertrennliche organische Erscheinungen der kapitalistischen Gesamtwirtschaft.

In einem „störungslosen“ Fortgang der kapitalistischen Produktion liegen vielmehr für sie Gefahren, die größer sind als die Krisen selbst. Es ist dies nämlich das nicht aus dem Widerspruch zwischen Produktion und Austausch, sondern aus der Entwicklung der Produktivität der Arbeit

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[1] 2. Auflage: sie.

[2] 2. Auflage: der unbeschränkten Ausdehnungsfähigkeit der Produktion und den engen Schranken des Absatzmarktes.