Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 355

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-1-1/seite/355

ein praktischer Finanzmann ist. Es ist dies Tito Canovai, der in seinem neulich erschienenen italienischen Buche „Das gegenwärtige Italien und seine moralischen, politischen, ökonomischen und finanziellen Probleme“ mit der Regierung seines Landes scharf zu Gerichte zieht. Das schöne Italien befindet sich im tiefsten wirtschaftlichen und sozialen Verfall, am Rande eines Abgrundes; das ist eine Tatsache, die Canovai ebenso offen ausspricht wie durch eine Fülle drastischer Tatsachen illustriert. Wo liegt der Grund des Übels? Canovai antwortet unumwunden: in dem verkehrten und verbrecherischen Regierungssystem. Es sei falsch, sagt er, die vorjährigen Hungerkrawalle auf hohe Brotpreise zurückzuführen. Es war dies nur ein jäher Ausbruch einer schleichenden sozialen Krankheit, die in erster Linie der barbarischen Steuerpolitik Italiens zu verdanken ist. Canovai weist durch eigenartige Berechnungen nach, daß die öffentlichen Steuern und Abgaben im allgemeinen, insbesondere das Militärbudget und die öffentliche Schuld, obwohl sie, pro Kopf gerechnet, geringer sind als in anderen Großstaaten, doch im Verhältnis zum Privatvermögen des Landes eine bedeutend größere Last darstellen als in allen anderen Ländern.

Und zwar liegen diese öffentlichen Abgaben mit ihrer ganzen erdrückenden Last auf den Schultern der unteren Volksklassen, während die Vermögendsten von ihnen fast ganz frei sind.

Er weist ferner an der Hand der Zahlen nach, daß die italienische Regierung jährlich 55 Millionen Franc im Eisenbahnbetriebe zusetzt. Woher kommt diese Vergeudung öffentlicher Mittel? Auch hier deckt Canovai die schnöde Klassenpolitik der Regierung auf: allerlei Schwindel bei den Expropriationen, Bau von „politischen“ und „Wahl“bahnen, mit einem Worte, die Betreibung der Eisenbahnen als eines Mittels zur Bereicherung einzelner Kapitalisten und zur Unterstützung der politischen Korruption. Eine andere Quelle des Volkselends ist nach Canovai die Schutzzöllnerei Italiens. Und auch hier sind am schwersten gerade die Lebensmittel des geringen Volkes belastet. Wie enorm die Zölle im Verhältnis zum Preise der Produkte sind, zeigt die folgende Tabelle:

Preis pro Quintal Zoll
Petroleum 17 fr 48 fr
Kaffee 220 „ 150 „
Zucker (fein) 37 „ 99 „
Zucker (roh) 28 „ 88 „

Canovai weist nach, wie sehr die Phrase von dem unentbehrlichen Schutze der einheimischen Produktion verlogen ist. Dies beweist dieselbe

Nächste Seite »