Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 335

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Welt mit 800 Millionen Menschen nur eine Produktion von 3,613 Millionen Bushel aufweist. Es ist klar, daß der Weltmarkt ganz auf Rußland und die Vereinigten Staaten angewiesen ist, die auch die Hauptlieferanten für alle anderen Länder sind. Die Getreideausfuhr im Zeitraume von 1891 bis 1895 betrug in Tonnen

aus den Vereinigten Staaten 4 470 000
Rußland 2 000 000
Argentinien und Chile 1 040 000
Indien 800 000
Rumänien 730 000
Kanada 240 000
Österreich-Ungarn 150 000

Aus dem Gesamtvorrat des ausgeführten Getreides – 9 430 000 Tonnen – entfallen also auf die Vereinigten Staaten und Rußland allein 6 470 000, d. h. mehr als zwei Drittel. Angesichts dieser Sachlage erschien dem amerikanischen Blatte die Idee naheliegend, durch eine Verständigung zwischen Nordamerika und Rußland den Weltgetreidehandel vollständig zu beherrschen und eine künstliche Preiserhöhung für Getreide zu erzeugen, um auf diesem Wege unerhörte Riesenprofite einzustreichen.

Wie gesagt, ist die Ausführung dieses grandiosen Wucherplanes zum Glück für die Menschheit höchst unwahrscheinlich, da die Zersplitterung des Grundeigentums und damit der Landwirtschaft ebenso in Rußland wie in den Vereinigten Staaten einem so weitgehenden Kartell hindernd in den Weg tritt. Der Vorschlag selbst erinnert aber an die schönsten Zeiten des mittelalterlichen Kornwuchers. Tatsächlich fällt der Kapitalismus auf seiner heutigen Entwicklungshöhe in das Delirium des Monopols, das auch seine ersten Anfänge bezeichnete, zurück. Daß besonders in den Vereinigten Staaten nicht nur in der Industrie das Monopol gegenwärtig wütet, sondern auch im Handel und speziell die Idee des „Chicago-Times-Herald“ bereits eine praktische Probe erlebt hat, beweist die Geschichte der Leiterschen Spekulation in der ersten Hälfte des verflossenen Jahres. Der bekannte Chikagoer Getreidehändler wollte durch das spekulative Aufkaufen eines großen Teils der Getreidevorräte auf eigene Faust den Weltmarkt beherrschen und enorme Profite einheimsen. Er hatte auch bereits 30 Millionen Bushel aufgekauft und dadurch die Preise in Europa bedeutend gesteigert. Wurde seine Spekulation auch durch eine unerwartet reiche und frühzeitige Ernte in Argentinien und Texas zuschanden gemacht und endete im Juni mit einem großen Krach, so hatte die bloße Probe des ver-

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