Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 237

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Bürgerliches. Die Demokratie hatte die Bourgeoisie schon vor uns auf ihre Fahne geschrieben. Was macht uns dann in unserem alltäglichen Kampfe zur sozialistischen Partei? Es ist nur die Beziehung dieser drei Formen des praktischen Kampfes zum Endziel. Nur das Endziel ist es, welches den Geist und den Inhalt unseres sozialistischen Kampfes ausmacht, ihn zum Klassenkampf macht. Und zwar müssen wir unter Endziel nicht verstehen, wie Heine gesagt hat, diese oder jene Vorstellung vom Zukunftsstaat, sondern das, was einer Zukunftsgesellschaft vorangehen muß, nämlich die Eroberung der politischen Macht. (Zuruf: „Dann sind wir ja einig!“) Diese Auffassung unserer Aufgabe steht im engsten Zusammenhang mit unserer Auffassung von der kapitalistischen Gesellschaft, dem festen Boden unserer Anschauung, daß die kapitalistische Gesellschaft sich in unlösbare Widersprüche verwickelt, die im Schlußresultat eine Explosion notwendig machen, einen Zusammenbruch, bei dem wir den Syndikus spielen werden, der die verkrachte Gesellschaft liquidieren wird. Aber wenn wir auf dem Standpunkt stehen, daß wir die Interessen des Proletariats zur vollen Geltung bringen können, dann wären solche Äußerungen unmöglich, wie sie in der letzten Zeit gefallen sind von Heine, daß wir auch Konzessionen auf dem Gebiete des Militarismus machen können[1]; dann die Äußerung von Konrad Schmidt im Zentralorgan[2] von der sozialistischen Majorität im bürgerlichen Parlament und namentlich Äußerungen wie von Bernstein[3], daß, wenn wir einmal ans Ruder kommen, wir auch dann nicht imstande sind, den Kapitalismus zu entbehren. Als ich das las, sagte ich mir: Welches Glück, daß 1871 die sozialistischen Arbeiter Frankreichs nicht so weise waren, denn dann hätten sie gesagt: Kinder, legen wir uns ins Bett, unsere Stunde hat noch nicht geschlagen, die Produktion ist nicht konzentriert genug, damit wir uns am Ruder erhalten können. Aber dann hätten wir statt des großartigen Schauspiels, des heroischen Kampfes, ein anderes Schauspiel erlebt, dann wären die Arbeiter nicht Heroen gewesen, sondern einfach alte Weiber. Ich glaube, daß die Erörterung darüber, ob wir, wenn wir zur Macht kommen, imstande sind,

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[1] Wolfgang Heine hatte in einer Rede am 10. Februar 1898 im dritten Berliner Reichstagswahlkreis die Auffassung vertreten, die Sozialdemokratie könne einer preußisch-junkerlichen Regierung Militärforderungen für „Volksfreiheiten“ bewilligen. Mit diesem Kompromiß wollte Heine den antimilitaristischen Kampf der deutschen Sozialdemokratie revidieren.

[2] Im „Vorwärts“ vom 20. Februar 1898 hatte Konrad Schmidt die Diktatur des Proletariats abgelehnt und behauptet, eine sozialdemokratische Parlamentsmehrheit könne den kapitalistischen Staat auf friedlichem Wege in einen sozialistischen umwandeln.

[3] Siehe Eduard Bernstein: Probleme des Sozialismus. Abschnitt 1: Allgemeines über Utopismus und Eklektizismus. In: Die Neue Zeit (Stuttgart). 15. Jg. 1896/97, Erster Band, S. 164–171; Abschnitt 5: Die sozialpolitische Bedeutung von Raum und Zahl. In: Ebenda, Zweiter Band, S. 138–143.