Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 937

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Das A und O für die proletarischen Organisationen muß das sozialistische Endziel bleiben: die Befreiung der Arbeiterklasse als Werk der vereinigten Proletarier aller Länder. An ihm haben wir alle Interessen und Aufgaben der Gegenwart zu messen, an ihm uns inmitten der Ereignisse und Stimmungen des Augenblicks zu orientieren. Könnten wir diese alte Binsenwahrheit hochfahrend von der Hand weisen, der Weltkrieg mit seiner verwirrenden und zersetzenden Rückwirkung auf die Arbeiterbewegung müßte uns daran mahnen, daß wir sie niemals aus den Augen verlieren dürfen. Täuschen wir uns nicht: Diese Rückwirkung wäre unmöglich, wenn nicht viel zu viele politisch und gewerkschaftlich Organisierte allmählich aufgehört hätten, nach dem sozialistischen Endziel als nach der Sonne zu blicken, von der sie für die praktische Tagesarbeit Licht und Wärme empfangen, und deren Kraft den Tätigkeitslauf der proletarischen Vereinigungen bestimmt und regelt.

Mancherlei Umstände bewirken zusammen, daß die vom Sozialismus erfaßten Frauen seinen tiefen Gehalt als Weltanschauung und Lebensauffassung stark und unmittelbar empfinden. Wie viele von ihnen sind nicht an den sozialistischen Idealen zu einem neuen, edleren Leben emporgewachsen! Was zuerst vielleicht oft genug mehr instinktiv, gefühlsmäßig aufgenommen wurde, das hat ernstes Ringen um Erkenntnis und Betätigung geklärt und vertieft. Bezahlen wir dem Sozialismus unsere Schuld für alles, was wir ihm danken. Nicht bloß dem Umfang, der Menge nach, nein, auch vor allem dem sozialistischen Gehalt und Wert nach muß das Wirken der Frauen jetzt von höchster Wichtigkeit für die Arbeiterbewegung sein.

Die Ereignisse, die der Weltkrieg in rasender Hast vor uns vorüberpeitscht, schreien geradezu danach, im klaren Lichte der sozialistischen Geschichtsauffassung betrachtet und gewürdigt zu werden.

Des weiteren haben Krieg und Burgfrieden den politischen Kämpfen und Arbeiten Halt geboten, die gewerkschaftlichen Konflikte eingeengt. Erlahmen wir Frauen nicht in dem Bestreben, diese Situation für die Klärung und Befestigung der sozialistischen Ideen zu nutzen. Je weniger Politik – im engen, zünftigen Sinne –, um so mehr Sozialismus, Sozialismus als geschichtliche Erkenntnis, als Wissenschaft, Weltanschauung. Die Organisationen mit ihrem vielseitigen Leben bieten den Frauen hunderterlei Anknüpfungspunkte, auch die unscheinbarste Kleinarbeit dem Sozialismus bewußt dienstbar zu machen und durch ihre klar hervorgehobenen Beziehungen zu ihm zu adeln. Hier gilt es, im Empfinden und Denken der Organisierten feste Dämme zu bauen, an denen sich der brandende Wogenschwall der imperialistischen Hochflut brechen muß, und hinter denen die sozialistischen Ideale sicher wohnen. In der gleichen Richtung müssen die Frauen die Arbeiterpresse beeinflussen. Kaum eine Veranstaltung, bei der nicht daran erinnert wird, daß die Frauen mit ihrer Sympathie und Tatkraft hinter unseren Organen stehen, sich ihre Verbreitung angelegen sein lassen

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