Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 936

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Langsam, viel zu langsam für unsere stürmende Sehnsucht dringen im Proletariat all die Gründe dafür durch, daß die Arbeiterbewegung auch von den Frauen zielklar und freudig mitgetragen werden muß. Der Weltkrieg wird in dieser Hinsicht ein harter Lehrmeister für viele sein, die in ruhigen Zeiten nicht hören wollten. Seit er seine Schrecken über die Völker ausschüttet, ist helles Licht darauf gefallen, daß die Mitarbeit der Frauen in den proletarischen Organisationen jeder Art mehr als nützlich und bedeutsam ist, nämlich einfach unentbehrlich. In der Tat: Wie wäre es heute um viele sozialdemokratische Vereine und Gewerkschaften bestellt, wenn sie nicht einen starken und bereits geschulten, leistungstüchtigen Stamm weiblicher Mitglieder hätten? Der Krieg hat viele hunderttausend gewerkschaftlich und politisch organisierte Männer zum blutigen Waffenhandwerk gezwungen. Nun ist es an den Frauen, die Reihen der proletarischen Vereinigungen um so fester zu schließen und durch unerschütterliche Treue deren Bestand, Arbeit und Gedeihen zu sichern.

Mit dem Beitragszahlen allein ist es nicht getan, wenngleich diese Leistung gegenwärtig für recht viele ein größeres Opfer als sonst darstellt. Seufzt doch gar manche Familie unter der „Tyrannei der Not“, weil ihr mit dem ins Feld befohlenen Vater der Haupternährer entrissen worden ist, und die Verdienstmöglichkeit für die Mutter knapp und unsicher ist oder auch ganz und gar fehlt. Nötiger als je ist die aufklärende Werbearbeit, die die Organisationen ebenso wohl in ihrem Bestand wie in ihrer Lebenskraft erhält und wachsen macht. Werbearbeit unter den breitesten proletarischen Massen, Werbearbeit durch die Frauen zumal unter den Frauen. Für jeden Mann, der draußen dienen muß, zwei Frauen, die daheim dem Sozialismus dienen wollen, das soll die Losung sein. Der Pulsschlag des geistigen und praktischen Lebens der proletarischen Vereinigungen darf nicht stocken, nicht schwächer und langsamer werden. Die Genossinnen müssen zu der früheren Arbeit hinzufügen, was sonst die Genossen leisteten, müssen anregend, vorwärtstreibend, handelnd die höchste Summe ihres Wissens, Könnens und Wollens in den Dienst der Organisationen stellen. Denn deren Wirkungskreis ist durch die Praxis proletarischer Solidarität beträchtlich erweitert worden.

Allein wir wären nicht wert, die nach freiem Menschentum dürstende Seele je an den Quellen des Sozialismus gelabt und neues Leben aus ihnen getrunken zu haben, könnte uns das alles und manches andere noch genügen, was die Stunde von uns fordert. Was wir für die Organisation und durch sie wirken, muß wie eine Schale bis an den Rand mit sozialistischem Geiste erfüllt sein. Dadurch erst und dadurch allein erhält er seinen wahren Sinn und seine höhere Weihe. Lassen wir uns die sozialistische Auffassung nicht trüben durch die Not der Zeit, die die kapitalistische Weltmachtpolitik für alle modernen Staaten – die neutralen nicht ausgenommen … geschaffen hat.

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