Friedrich Adler
[1]Unser Parteigenosse Friedrich Adler ist von der Wiener Justiz zum Tode durch den Strang verurteilt worden, weil er den österreichischen Ministerpräsidenten Stürgkh erschossen hat.2[2] Das Urteil war vorauszusehen und ist von niemand so klar vorhergesehen [worden] wie von Adler selbst.
Selten hat sich eine gerichtliche Verhandlung so trocken und gewissermaßen selbstverständlich abgespielt, aber selten hat eine gerichtliche Verhandlung menschliche Herzen so tief ergriffen wie diese.[3] In der Geschichte politischer Prozesse – und wie lang ist diese Geschichte! – wird man wenige Beispiele finden, wo ein Angeklagter sich am Fuße des Galgens mit gleicher Würde und Hoheit verteidigt hat, so einfach und schlicht, so eindringend und überzeugend, so ganz ohne Pose und Ruhmredigkeit, daß sogar Haß und Hohn der Gegner verstummen.
Selbst das Opfer eines grausamen Geschicks, hat sich Friedrich Adler einem großen Gedanken geopfert. Wie der furchtbare Verfall der menschlichen Gesittung, die der Weltkrieg über die kriegführenden Nationen gebracht hat, einem edel und rein und weich empfindenden Menschen das Innerste zerreißt, wir haben es tief erschüttert aus dem Munde Friedrich Adlers gehört. Er wollte den gequälten Massen ein mahnendes Vorbild geben, und nur der unheilbare Stumpfsinn der Philister kann
[1] Der Artikel ist mit ♂, einem von Rosa Luxemburgs Zeichen versehen, das sie auch für Beiträge in der SAZ 1898 häufig verwendet hat. Siehe GW, Bd. 6, S. 129 ff. In der RL-Bibliographie von Feliks Tych, 1962 (Jadwiga Kaczanowska przy konsultacji i wspólprácy Feliksa Tycha: Bibliografia Pierwodruków Rózy Luksemburg. Nadbitka Z pola walki, kwartalnik Poswiecony Dziejom Ruchu Robotniczego, Warschau 1962 Nr. 3 [19]), ist der Artikel unter Nr. 658 ausgewiesen; ebenso im Beitrag von Narihiko Ito in: Mensch sein, das heißt … Rosa Luxemburg und ihre Freunde in Geschichte und Gegenwart, „Helle Panke“ e. V., Heft 69/2, Berlin 2004, S. 55. Siehe auch S. 995, Fußnote 1.
[2] Friedrich Adler, der 1910/11 Redakteur der schweizerischen Zeitung Volksrecht und danach Sekretär der Sozialdemokratischen Partei Österreichs war, hatte am 21. Oktober 1916 das Attentat auf den österreichischen Ministerpräsidenten verübt und war am 19. Mai 1917 zum Tode verurteilt worden. Er wurde später zu 18 Jahren schweren Kerker und am 1. November 1918 endgültig begnadigt.
[3] An Luise Kautsky schrieb sie aus Wronke am 29. Mai 1917: „Ich bin außerstande, an Fritz zu schreiben, obwohl ich seit ein paar Tagen an den Brief immerzu denke. Die Aussicht, daß der Brief an das Generalkommando geht und höchstwahrscheinlich inhibiert wird, benimmt mir jeden Mut und fesselt derart den Ausdruck, daß ich unmöglich einen Brief fertigbringen könnte, wie er allein Fritz wohltun würde. Bitte, schreib Du ihm die allerwärmsten Grüße und sage ihm, daß ich ihm einen langen Brief schreiben würde, wenn ich frei wäre.“ Siehe GB, Bd. 5, S. 245. Außerdem bat sie Luise Kautsky, ihr unbedingt die Wiener Arbeiter-Zeitung vom 19. und 20. Mai 1917 mit dem Gerichtsbericht zukommen zu lassen. Siehe ebenda, S. 256 f.