Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 1065

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sich mit dem abgestandenen Gemeinplatz begnügen, daß die Tötung eines einzelnen Machthabers kranke Zustände nicht heilen könne.

Tatsächlich reicht der Fall Friedrich Adlers in die Höhe der Tragödie. Viele auch der edleren Naturen mögen sich heute in beschaulichen Monologen über ihr zerrissenes Herz gefallen, mit dem melancholischen Troste des Dänenprinzen

Die Zeit ist aus den Fugen: Schmach und Gram,

Daß ich zur Welt, sie einzurenken kam.[1]

Friedrich Adler aber handelte wie jener „zarte Prinz“, den Hamlet in seiner Unfähigkeit zu handeln so sehr beneidete, wie jener Fortinbras [Prinz von Norwegen],

Dess’ Mut von hoher Ehrbegier geschwellt,

Die Stirn dem unsichtbaren Ausgang deut

Und gibt sein sterblich und verletzbar Teil

Dem Glück, dem Tode, den Gefahren preis

Für eine Nußschal’.[2]

Der russische Arbeiter- und Soldatenrat hat einen flammenden Protest gegen die Hinrichtung Friedrich Adlers erlassen, den er als einen Vorkämpfer des Sozialismus preist;[3] die großen bürgerlichen Blätter, wie das „Berliner Tageblatt“, haben ausführlich über die gerichtliche Verhandlung berichtet und so in ihrer Weise auch dem Tapferen und Treuen gehuldigt;[4] nur der „Vorwärts“ zeigt sich wieder auf einer seiner würdigen Höhe, indem er einen ganz verstümmelten Bericht über den Prozeß bringt, dagegen ein Langes und Breites über die „erbliche Belastung“ Friedrich Adlers schwatzt und ihm endlich der Begnadigung der K. K. Behörden zu lebenslänglichem Kerker empfiehlt.[5] Muß das „führende Organ“ des Regierungssozialismus denn wirklich an historischer Nüchternheit so tief unter der Presse des Herrn Mosse und Ullstein[6]

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[1] Siehe William Shakespeare: Hamlet, Prinz von Dänemark, 1. Akt, 5. Szene.

[2] Siehe ebenda, 4. Akt, 4. Szene. Beide Male nach Quellenvergleich kleine Korrekturen durch die Redaktion.

[3] Siehe Vorwärts (Berlin), Nr. 140 vom 24. Mai 1917 und Berliner Tageblatt, Nr. 261 vom 24. Mai 1917.

[4] Siehe Der Mordprozeß Friedrich Adler. In: Berliner Tageblatt, Nr. 252 und Nr. 253 vom 19. Mai 1917; Dr. Friedrich Adler zum Tode verurteilt. In: ebenda, Nr. 254 vom 20. Mai 1917; Das Todesurteil gegen Dr. Friedrich Adler. In: ebenda, Nr. 255 vom 21. Mai 1917.

[5] Siehe Der Tod Fritz Adlers, In: Vorwärts (Berlin), Nr. 135 vom 19. Mai 1917; Der Prozeß Adler und Friedrich Adler zum Tode verurteilt. In: ebenda, Nr. 136 vom 20. Mai 1917.

[6] Rudolf Mosse gab seit 1871 das Berliner Tageblatt heraus, das der Freisinnigen Vereinigung politisch und personell nahestand, sowie ab 1891 die Berliner Volks-Zeitung, die mit dieser Partei in innenpolitischen Fragen übereinstimmte. Der 1877 von Leopold Ullstein begründete Verlag gab seit 1898 die Berliner Morgenpost, seit 1904 die B.Z. am Mittag heraus und kaufte 1914 das großbürgerliche Blatt Vossische Zeitung.