Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 955

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-7-2/seite/955

Protokoll über die polizeiliche Durchsuchung der Wohnung und die Vernehmung am 10. Juli 1916

[1]

Abschrift

Berlin, den 10. Juli 1916.

Auf Anordnung des Oberkommandos in den Marken wurde, weil Gefahr im Verzuge war, heut um 9 Uhr vorm. in den Wohnungsräumen der Schriftstellerin Frau Dr. Rosa Lübeck geb. Luxemburg in Südende, Lindenstraße 2 wohnhaft, eine Durchsuchung von dem Unterzeichneten vorgenommen, weil sie in dem Verdacht steht, mehrere radikal gehaltene Flugblätter verfaßt und verbreitet zu haben.

Der Durchsuchung wohnten bei: die Stenotypistin Mathilde Jacob,[2] hier, Altonaerstraße 11 b/i. Mutter wohnhaft, sowie Krim.Schutzm. Klein –2–. Auf die Hinzuziehung weiterer Zeugen, hat die Luxemburg ausdrücklich verzichtet.

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[1] Überschrift der Redaktion.

[2] Über ihre Erlebnisse mit Rosa Luxemburg am 9. und 10. Juli 1916 siehe Mathilde Jacob: Rosa Luxemburg und ihre Freunde in Krieg und Revolution. Hrsg. und eingel. von Sibylle Quack und Rüdiger Zimmermann. In: IWK, 24. Jg., Dezember 1988, Heft 4, S. 460 ff. – Am 11. Juli 1916 sandte Mathilde Jacob per Rohrpost an Frau Dr. Rosa Luxemburg. Schutzhaft. Isoliergewahrsam. Kgl Polizeipräsidium Alexanderplatz einen aufschlußreichen Brief. „Meine liebe Rosa! Ich hoffe und wünsche, daß es Ihnen erträglich gehen möge und doch weiß ich, daß das natürlich unmöglich ist und daß Sie sehr zu leiden haben werden. – Sie werden gewiß erfahren haben, daß ich heute bei Ihnen gewesen bin. Man sagte mir, Sie hätten an mich geschrieben! Es ist aber bereits 10 Uhr abends, und ich habe keine Nachricht. Durch irgendein Versehen müssen Ihre Zeilen nicht in meine Hände gelangt sein. Ich weiß also nicht, was drin steht und kann Ihnen nichts darüber sagen. Ich habe dort mit vielen Beamten gesprochen, an einen derselben habe ich 100 Mark für Sie eingezahlt. Der Herr wollte mit dem Restaurateur [sic!] sprechen, daß derselbe Ihrer Diät entsprechend für Sie kochen solle. Nachdem ich aber mit Ihrem Arzt heute Nachmittag gesprochen habe, sehe ich ein, daß das unmöglich ist. Der Restaurateur nimmt täglich 5 M, 35 Pf. Ich habe es mir berechnet, dafür kann in einem Haushalt genau nach ärztlicher Vorschrift für Sie gekocht werden. Ich habe auch schon hierfür alles in die Wege geleitet und Sie könnten durch einen Boten täglich zu einer bestimmten Zeit Ihr Essen bekommen. Ich soll morgen Sprecherlaubnis bekommen, da können Sie über alles bestimmen. Was Herr Dr. Gumpert gesagt hat, all das sage ich Ihnen dann. Er will Sie natürlich behandeln, das müssen Sie aber beantragen.

Sämtliche Anwälte, die da glauben, in Betracht zu kommen, bemühen sich um Ihre Hand! Oskar [Cohn] lief ich gerade in die Arme, als ich zu Ihnen wollte. Durchaus meinte er, ohne ihn könnte ich gar nicht erst ins [Polizei-] Präsidium gehen. Aber ich wehrte freundlich aber entschieden ab. Hugo [Haase] glaubt sich natürlich auch unentbehrlich. Dann kam Theodor [Liebknecht] sehr bescheiden und bat, für Sie tätig sein zu dürfen. Ich glaube, Sie werden ihn nehmen. Denn soviel ich beurteilen kann brauchen Sie für Anträge usw. einen Anwalt. – Dann müssen Sie mir die nötigsten Instruktionen geben, ich werde Sie danach befragen. Wir können uns beide vorher Notizen machen, damit wir nichts vergessen. Alles werde ich natürlich unmöglich allein erledigen können, mit vielen Sachen wissen nur Sie Bescheid. Aber auch das besprechen wir ja. Alle Ihre Freunde erkundigen sich unausgesetzt nach Ihnen. Jeder möchte Ihnen dienen. Sonja [Liebknecht] hat mich heute zu Ihnen begleitet und geduldig auf der Straße gewartet. Für morgen bringe ich Ihnen jedenfalls vorschriftsmäßig gekochtes Essen mit.

Claire [Thalheimer] spreche ich morgen. Ihr Mann bekam im letzten Augenblick die Nachricht, daß er nicht an die Front dürfe. Claire ist jedenfalls zufrieden.

Kurt [Rosenfeld] mußte natürlich von Ihnen hören und ich war lange Zeit mit ihm im Tiergarten. – Franz [Mehring] und ich trösten uns gegenseitig, ich war täglich bei ihm.

Ich sende diesen Brief ‚Eilboten‘ damit Sie rechtzeitig überlegen, was sie mit mir zu besprechen haben.

Leben Sie recht wohl, Sie wissen, was ich Ihnen zu sagen habe, ohne daß ich es schreibe. Ich bin froh, daß ich wenigstens Mimi [Rosa Luxemburgs Katze] habe, obgleich ich sie Ihnen gönnte. Auch das wissen Sie. Wir umarmen Sie beide und ich bleibe Ihre Mathilde Jacob.“ Siehe SAPMO-BArch, NY 4002/60, Bl. 33–38.

Rosa Luxemburg saß vom 10. bis 20. Juli 1916 im Polizeigefängnis am Alexanderplatz und wurde am 21. Juli 1916 ins Frauengefängnis Barnimstraße 10 überführt. – Nach dem 22. September 1916 wurde sie von der Barnimstraße noch einmal zum Polizeigefängnis am Alexanderplatz für etwa vier Wochen „strafversetzt“, weil sie den die Sprechstunde mit Mathilde Jacob überwachenden Beamten „beleidigt“ hatte. Siehe Mathilde Jacob: Rosa Luxemburg und ihre Freunde in Krieg und Revolution, S. 463. Der Aufenthalt dort „hat auf meinem Kopf graue Haare und in meinen Nerven Risse zurückgelassen, die ich nie verwinden werde“, schrieb Rosa Luxemburg später an Hans Diefenbach. Dort begann die Nacht, weil es keine Beleuchtung gab, „schon um 5, 6 Uhr. Es blieb mir in der 11 cbm großen Zelle nichts übrig, als mich auf der Pritsche hinzustrecken, eingeklemmt zwischen unbeschreiblichen Möbelstücken, und in die Höllenmusik der fortwährend vorbeidonnernden Stadtbahnzüge, von denen die Zelle erbebte und auf den klirrenden Fensterscheiben rote Lichtreflexe aufblitzten, meinen Mörike halblaut zu deklamieren.“ Siehe GB, Bd. 5, S. 269.