Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 1020

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Junker und Proletarier

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Vor einer Reihe von Jahren wurde einmal vom Schreiber dieser Zeilen in der „Neuen Zeit“ die Ansicht entwickelt, daß der entscheidende Kampf um die deutsche Zukunft zwischen dem Junkertum und der Sozialdemokratie ausgefochten werden würde.[2] Das Wort wurde von der „Deutschen Tageszeitung“ aufgegriffen, die seitdem oft daran erinnerte, natürlich in ihrem Sinne: Der ostpreußische Großgrundbesitzer sei das einzige Bollwerk gegen die heranwachsende rote Flut.

Nichts begreiflicher daher, als daß die Junker sich desto üppiger gebärden, je mehr die rote Flut, dank dem Umfall des Rumpfparteivorstandes und seines Gefolges von Regierungssozialisten, zu verebben scheint. Der preußische Landwirtschaftsminister v. Schorlemer schlug im preußischen Abgeordnetenhause einen Ton an, wie er selbst in diesem Hause seit den Tagen der Landratskammer kaum erhört gewesen ist,[3] und wie ein Echo aus noch weiter entlegener Zeit klang die Rede, die der Graf York v. Wartenburg im preußischen Herrenhause hielt.[4] Er zeigte sich als der würdige Nach-

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[1] Der Artikel ist mit ♂, einem von Rosa Luxemburgs Zeichen versehen, das sie auch für ihre Beiträge in der SAZ 1898 häufig verwendet hat. Siehe GW, Bd. 6, S. 129 ff. In der RL-Bibliographie von Feliks Tych, 1962 (Jadwiga Kaczanowska przy konsultacji i wspólprácy Feliksa Tycha: Bibliografia Pierwodruków Rózy Luksemburg. Nadbitka Z pola walki, kwartalnik Poswiecony Dziejom Ruchu Robotniczego, Warschau 1962 Nr. 3 [19]), ist der Artikel unter Nr. 641 ausgewiesen; ebenso in der Bibliographie von Narihiko Ito von 2002, S. 25, Nr. 44. – Siehe auch S. 995, Fußnote 1.

[2] Siehe Die Theorie und die Praxis. In: Die Neue Zeit, 28. Jg. 1909/10, Zweiter Band, S. 564 ff. In: GW, Bd. 2, S. 378 ff.

[3] Gemeint ist die Rede des Landwirtschaftsministers von Schorlemer am 7. März 1917 im preußischen Abgeordnetenhaus, in der er u. a. sagte: „Es ist unrichtig, daß ich zu ungunsten der Verbraucher einen Einfluß auf das Kriegsernährungsamt und andere Reichs- und Landesstellen ausgeübt habe. Im Hinblick auf die Angriffe des Abg. Scheidemann tröste ich mich damit, daß der Reichstag nicht berufen ist, preußische Staatsminister zu ernennen und abzusetzen. Ich bleibe auf meinem Platze, solange der Wille des Kaisers und das Vertrauen der Landwirtschaft mich halten. […] In dem unbedingten Vertrauen zu unserer Obersten Heeresleitung und im Hinblick auf unsere Erfolge zur See haben wir begründete Hoffnung, daß es uns im letzten Abschnitt des Krieges gelingen wird, den größten Gegner Deutschlands, England, auf die Knie zu zwingen.“ Siehe Deutscher Geschichtskalender, 33. Jg., 1. Bd., 1. Hälfte, Januar–März 1917, Leipzig 1917, S 535 f.

[4] Es handelt sich um die Rede des Grafen York von Wartenburg am 9. März 1917 im preußischen Herrenhaus, in der er staatsrechtliche Bedenken dagegen äußerte, daß den Abgeordneten statt der Reisekosten freie Fahrt gewährt werde. Er wandte sich gegen dieses Glied in einer Kette von Eingriffen des Parlaments in die Verfassung. „In Deutschland habe man keine Bedürfnisse nach dem Parlamentarismus. Vollkommen unberechtigt sei eine Einwirkung des Parlaments auf die auswärtige Politik durch Männer, die nicht gewählt seien, weil sie konsequent, sondern weil sie populär seien. Man brauche in Deutschland Militarismus notwendiger als Parlamentarismus. Die Einführung des westeuropäischen Freiheitsbegriffes würde ein Erfolg Englands und der Untergang des preußischen Militarismus sein. Der Deutsche entbehre der politischen Schulung, seine Meinung werde von einer verfahrenen Presse gemacht.“ Siehe ebenda, S. 545 f.