Ein literarischer Bravo
[1]Herr Andrzej Niemojewski, der Freidenker und Judenhetzapostel, dem wir in Nr. 266 unseres Blattes auf die unsauberen Finger klopfen mußten, veröffentlichte in Nr. 15 der Frankfurter Zeitschrift „Das freie Wort“ einen Artikel gegen uns unter dem Titel „An die Adresse des ‚Vorwärts‘“, eine Schimpfepistel. Wir haben darauf nicht geantwortet, denn der Schmutz reicht nicht an uns heran und sein unter Ausschluß der Öffentlichkeit erscheinendes Blättchen, das uns schon oft angekläfft hat, verdient keine Beachtung. Jetzt hat aber Herr Niemojewski in seinem Warschauer Blatte ein Triumphgeheul angestimmt mit dem Leitmotiv „Der ‚Vorwärts‘ schweigt“.[2] So unangenehm es uns daher ist, müssen wir uns doch noch einmal mit diesem Herrn befassen.
Herr Niemojewski bestreitet also vor allem, daß er ein Antisemit sei. Das sind nichts als Ausflüchte. Inzwischen hat sich jedoch die Polemik zwischen dem Warschauer Arbeiterblatt „Ml⁄ot“ [Der Hammer] und Herrn N. weiter gesponnen, und er hat seine Karten immer mehr aufgedeckt. In einem seiner Artikel erklärt er, „der Semitismus, das Judentum, ist das Synonym der Mequinonie, Korruption, des Servilismus, der Profanation und Perversität“; es gebe Ausnahmen, doch seien sie so überaus selten, daß sie nicht in Betracht kommen. Das genügt wohl.
Für uns kam dieser Skribifax nur soweit in Betracht, als die Hetze, die er in Polen innerhalb der „demokratischen“ und „liberalen“ Bourgeoisie gegen die Juden inszenieren konnte, ein krasses Beispiel des Verfalles der polnischen Bourgeoisie liefert. Ferner mußten wir ihn deshalb abschütteln, weil er in seinem gemeinen Feldzug gegen die Sozialdemokraten sich auf uns berief und uns mit Zuschriften verleumderischen Inhalts beschäftigte. Ebenso wie uns, hat er sich übrigens den Genossen Jaurès, Bebel, Mehring an die Rockschöße hängen wollen und sie alle haben ihn in dem genannten polnischen Arbeiterblatte mit der gebührenden Verachtung abgewiesen. Auch Genosse Otto Bauer verwahrt sich im Wiener „Kampf“ sehr energisch dagegen, daß Herr N. seinen Namen für seine verwerflichen Tendenzen mißbraucht.[3]
[1] Der Artikel erschien anonym. In der RL-Bibiographie von Feliks Tych, 1962 (Jadwiga Kaczanowska przy konsultacji i wspólprácy Feliksa Tycha: Bibliografia Pierwodruków Rózy Luksemburg. Nadbitka Z pola walki, kwartalnik Poswiecony Dziejom Ruchu Robotniczego, Warschau 1962 Nr. 3 [19]), (Jadwiga Kaczanowska przy konsultacji i wspólprácy Feliksa Tycha: Bibliografia Pierwodruków Rózy Luksemburg. Nadbitka Z pola walki, kwartalnik Poswiecony Dziejom Ruchu Robotniczego, Warschau 1962 Nr. 3 [19]), ist er unter Nr. 487 ausgewiesen.
[2] Siehe Andrzej Niemojewski: Antysemityzm jako walka o kulture˛ (Antisemitismus als Kampf um die Kultur). In: Mysl Niepolegl⁄a, Nr. 150, Oktober 1910, S. 1461 ff.
[3] Jaurès Erklärung wurde in Nr. 12 vom 22. Oktober 1910, Bebels Brief in Nr. 14 vom 5. November im Anschluß an Rosa Luxemburgs Diskussionsbeitrag, Mehrings Stellungnahme in Nr. 15 vom 12. November 1910 abgedruckt. Otto Bauers Beitrag Sozialismus und Antisemitismus aus der Novembernummer 1910 der österreichischen Monatszeitschrift Der Kampf wurde in Nr. 16 vom 19. November 1910 ausgiebig zitiert. Dieses internationale Echo entsprach der Bitte Rosa Luxemburgs im Brief an Èmile Vandervelde vom 8. Oktober 1910, in dem es heißt: „Schreiben Sie uns also einen Offenen Brief an die Redaktion des ‚Ml⁄ot‘, sagen Sie uns, was Sie über die Verquickung der ‚Gedankenfreiheit‘ mit dem Antisemitismus und über das ‚Judentum‘ im Sozialismus denken, richten Sie an die kämpfenden Arbeiter, die den Kampf unter so schwierigen Bedingungen führen, einige Worte der Ermutigung.“ GB, Bd. 6, S. 173. Die Leitung der SDKPiL hatte beschlossen, diese Bitte an führende Vertreter der internationalen Arbeiterbewegung zu richten. Julian Marchlewski fuhr deshalb vom 9. bis 13. Oktober 1910 nach Paris.