Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 760

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Über den politischen Massenstreik. Referat und Schlußwort am 10. August 1913 auf der Generalversammlung des Kreiswahlvereins Niederbarnim in Rummelsburg

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Nach einem Zeitungsbericht[2]

Die wesentlichsten Gesichtspunkte ihres Referats sind kurz zusammengefaßt ungefähr diese: Da wir uns gegenwärtig in einer Diskussion über den Massenstreik befinden, müßten wir offene Augen haben für die Praxis, die in anderen Ländern beim Massenstreik angewandt worden sei. Die Frage des Massenstreiks dürfe nicht losgelöst werden von einer Betrachtung der gesamten Situation und der politischen Taktik unserer Partei. Der Massenstreik könne nicht angewandt werden als äußerstes Mittel, wenn die parlamentarische Taktik der Partei uns in eine Sackgasse geführt habe. Wenn jetzt die Frage des Massenstreiks mit so großem Eifer von den Massen diskutiert werde, ohne daß sie künstlich angeregt worden seien, so spreche das dafür, daß sich die Massen klar bewußt seien, daß wir bei der fortgeschrittenen Verschärfung der Klassengegensätze mit unseren bisherigen Kampfmitteln nicht mehr auskommen. Auf parlamentarischem Gebiet kommen wir nicht vorwärts, die Massen müßten deshalb ihren Willen unmittelbar zum Ausdruck bringen. Wir brauchten mit dem Massenstreik nicht zu warten, bis der letzte Proletarier organisiert ist. Die Organisationen seien stark genug, um die Führung der Massen zu übernehmen und bei einer Aktion die Unorganisierten mitzureißen. Gerade solche Massenkämpfe würden zur Stärkung der politischen und gewerkschaftlichen Organisationen beitragen. Es müsse bei dieser Gelegenheit die Frage gestellt werden, ob sich Massenorganisationen auf die Dauer überhaupt erhalten lassen, wenn nichts unternommen werde, wo die Hingabe, der Opfermut und das Risiko der Massen auf die Probe gestellt werden könne. Nichts sei so gesund für die deutsche Arbeiterschaft als stürmische Kämpfe. Die Bedenken, wir seien in Deutschland nicht reif oder wir dürften die Organisationen nicht aufs Spiel setzen, seien unbegründet. Ein Massenstreik könne allerdings nicht gemacht werden durch Beschlüsse des Parteivorstandes und der Generalkommission, sondern er müsse aus der gesamten Situation durch den Willen der Massen selbst entstehen.

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[1] Überschrift der Redaktion.

[2] Am folgenden Tag, am 11. August 1913, berichteten außergewöhnlich viele bürgerliche und konservative Blätter über die Versammlung, z. B. die Vossische Zeitung, Nr. 403, die Deutsche Tageszeitung, Nr. 402, die Berliner Allgemeine Zeitung, Nr. 218, die Zeit am Montag, Nr. 32, die Welt am Montag, Nr. 32, Berliner Morgenpost, Nr. 218, Die Post, Nr. 372 und die Neue Reichscorrespondenz, Nr. 184. Siehe dazu S. 762, Fußnote 9.