Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 940

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Erklärung auf Befragung durch Amtsgerichtsrat Krawinkel vom Königlichen Amtsgericht Berlin-Mitte am 27. Juli 1915 im Frauengefängnis in der Barnimstraße 10 über die Zeitschrift „Die Internationale“

[1]

Ich habe die mir zugegangene Schrift „Die Internationale“ vollständig durchgelesen, ebenso habe ich den Beschluß betr. die Eröffnung der Voruntersuchung vom 4. Juni 1915 in Abschrift erhalten. Ich bin auch jetzt nicht in der Lage, mich zu äußern, da ich meinte weder in meinem Aufsatz „Der Wiederaufbau der Internationale“,[2] noch in den übrigen Artikeln die Aufforderung zum Ungehorsam gegen Gesetze u. Verordnungen, sowie Anordnungen der von der Obrigkeit getroffenen Anordnungen, noch zur Begehung strafbarer Handlungen erblicke, ebenso wenig bin ich mir bewußt, durch den Inhalt der Broschüre zur tatsächlichen Widersetzlichkeit aufgefordert u. angereizt zu haben.[3]

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[1] Überschrift der Redaktion.

[2] Siehe Rosa Luxemburg: Der Wiederaufbau der Internationale. In: GW, Bd. 4, S. 20 ff.

[3] Angeschuldigte der Voruntersuchung laut Verfügung des Untersuchungsrichters II beim K. Landgericht in Düsseldorf vom 4. Juni 1915 wegen Vergehen gegen §§ 110, 111, 47 St.G.B. [Strafgesetzbuch] und IXc des Belagerungsgesetzes waren neben Rosa Luxemburg Clara Zetkin, Franz Mehring, Heinrich Pfeiffer und Peter Berten.

Clara Zetkin gab zu Protokoll: „Ich bestreite die Beschuldigung. Ich bin die Verfasserin des Artikels für den Frieden und übernehme dafür auch die Verantwortung. Der Zweck des Artikels war, der deutschen Sozialdemokratie die Verpflichtung einzuschärfen, für den Frieden kräftige Propaganda zu entfalten.

Zu diesem Zwecke habe ich in dem Artikel zunächst gezeigt, was in anderen Ländern in dieser Beziehung bereits geschehen ist. Des weiteren habe ich dargelegt, daß die Gründe nicht stichhaltig sind, auf die sich die Sozialdemokratie offiziell beruft, um eine Friedensagitation zu unterlassen. Ich kam zu der Schlußfolgerung, daß, wenn die Sozialdemokratie nichts für den Frieden tut, die breiten Massen des Volkes doch ihre Stimmen für den Frieden erheben sollen. Was nun die Mittel betrifft, mit denen die Friedensagitation betrieben werden soll, so kamen die dem Volk verfassungsgemäß zustehenden Rechte u. Mittel in Betracht. Ich habe in erster Linie daran gedacht, es solle in der Presse und in Versammlungen der Wille des Volkes zum Frieden zur Kenntnis der Regierung gebracht werde[n].

Daß ich in diesem Artikel zum Ungehorsam gegen Gesetze und zu tätlicher Widersetzlichkeit aufgefordert habe, bestreite ich entschieden. Mein ganzer Artikel ist in der Hauptsache nichts anderes als eine Polemik gegen die Leitung der deutschen Sozialdemokratie, die nicht energisch genug für den Frieden eintritt.

Was die übrigen Artikel in der Monatsschrift betrifft, so habe ich nichts mit denselben zu tun. Ich habe von denselben erst nach ihrem Erscheinen in der Zeitschrift Kenntnis erhalten.

Ebenso wenig habe ich mit der Herausgabe der Monatsschrift etwas zu tun; ich bin lediglich Mitarbeiterin. Die Zeitschrift sollte die Selbstkritik innerhalb der Sozialdemokratie in Theorie und Praxis bilden. Da das offizielle wissenschaftliche Organ der Sozialdemokratie ‚Die neue Zeit‘ den Anforderungen eines großen Kreises innerhalb der Sozialdemokratie nicht entsprach, erfolgte die Gründung dieser Zeitschrift.

Auf Befragen. Wer die Geldgeber bei Herausgabe der Zeitschrift gewesen sind, weiß ich nicht.

Wie die Adressen der Nichtangeschuldigten, übrigen Mitarbeiter der Zeitschrift lauten, weiß ich nicht, ich würde sie auch nicht angeben, wenn ich sie wüßte.

Auf Befragen. Ich bin nicht von einer einzelnen Person, sondern von einer größeren Anzahl von Freunden und Bekannten zur Mitarbeit aufgefordert worden.

Der Zweck der Gründung ist, wie schon gesagt, die wissenschaftliche Selbstkritik in Theorie und Praxis innerhalb der Sozialdemokratie.“ Siehe SAPMO-BArch, NY 4002/78, Bl. 76–78.

Franz Mehring erklärte: „Ich bestreite die Beschuldigung. Die Zeitschrift ‚Die Internationale‘ ist bisher nur in dem einen bei den Akten befindlichen Exemplar erschienen. Die Idee zu dieser Zeitschrift kommt von der Angeschuldigten Luxemburg im vollen Einverständnis mit mir. Als diese von der Sache sprach, stimmte ich ihr vollständig zu und übernahm nach Verhaftung der Frau Luxemburg die Herausgabe dieser Zeitschrift. Die Zeitschrift verfolgt die Tendenz, diejenigen Mitglieder der Sozialdemokratie, welche s. Zt. für Bewilligung der Geldmittel zur Kriegführung gestimmt haben, von der Unrichtigkeit ihrer Ansichten zu überzeugen und zu veranlassen, alle ihre Kräfte innerhalb des gesetzlichen Rahmens für einen baldigen Frieden einzusetzen. Eine andere Tendenz hat mein Aufsatz ‚Unsere Altmeister und die Instanzen-Politik‘ auch nicht verfolgt. Ich bestreite, daß die Tendenz des Aufsatzes eine Aufforderung zum Ungehorsam gegen die Gesetze oder rechtsgültige Verordnungen oder zur Begehung von strafbaren Handlungen war. Einen besonderen Geldgeber hat die Zeitschrift nicht gehabt. Die Buchdruckerei hat die Druckkosten kreditiert; die Kosten sind durch den Vertrieb gedeckt worden. Die Adressen der Verfasser der übrigen Artikel möchte ich nicht angeben, da ich dies als Redaktionsgeheimnis ansehe. Daß die Herausgabe der Zeitschrift gegen das Belagerungsgesetz verstößt, muß ich bestreiten. S. Zt. hat sich der Mitangeschuldigte Pfeiffer an einen Rechtsanwalt in Düsseldorf gewandt. Dieser hat ihm erklärt, daß die Herausgabe in Düsseldorf nicht verboten sei.“ Siehe SAPMO-BArch, NY 4002/78, Bl. 88–92. – Am 15. April 1915 hatte Franz Mehring an Alexander Winkler, Arnstadt, geschrieben: „Beiliegend erlaube ich mir, Ihnen zwei Exemplare einer Zeitschrift zu übersenden, die mit Ihrer gütigen Beihilfe das Licht der Welt erblickt hat. Nicht ohne große Mühen und Schwierigkeiten, so daß ihr äußeres Kleid nicht allzu proper aussieht, aber hoffentlich wirkt ihr Inhalt einiges Gute. Für Ihre Unterstützung spreche ich Ihnen, zugleich im Namen der Genossin Luxemburg, die im Gefängnis weilt, und des Genossen Liebknecht, der im Felde steht, unsern aufrichtigsten und herzlichsten Dank aus. Mit hochachtungsvollem Gruße Ihr Franz Mehring.“ In: SAPMO-BArch, NY 4043/8, Bl. 156. – Schon am 21. April 1915 hatte Emanuel Wurm an Karl Kautsky berichtet: „Tatsache ist, daß die ‚I’ in ganz Deutschland stark verbreitet wird, durch rührige Arbeit der Rosisten u. daß sie vorigen Mittwoch auf fast allen Zahlabenden Großberlins verkauft wurde.“ Siehe IISG, Amsterdam, Kautsky-NL, D. XXIII, 259.