Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 750

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Die sozialdemokratische Fraktion in der vierten Duma

[1]

Die erste Session der vierten Duma, die jetzt zu Ende gelaufen ist, hat vollauf bewiesen, daß es der Regierung nicht gelungen ist, durch den Wahlterror, durch die Mobilmachung der schwarzen Popenarmee die oppositionellen Regungen im Lande zu unterdrücken. Soweit ein so infames Wahlrecht es erlaubt, spiegelt das Leben der Duma die Verschärfung der Gegensätze im Lande wider.

Die steigende Flut der Arbeiterbewegung, in derem Zeichen die vierte Duma gewählt wurde, gibt dem Auftreten der sozialdemokratischen Fraktion[2] eine viel größere Festigkeit und Vertrauen an den Wert der geleisteten Arbeit. Während vor dem Zusammentritt der ersten Duma und in der ersten Zeit ihrer Wirksamkeit in den breiten Schichten des Proletariats Verzagtheit herrschte und eine Stimmung zum Vorschein kam, daß das ganze Parlamenteln im Lande des Galgens gar keinen Sinn habe, unterstützt jetzt eine stetig wachsende Masse der Arbeiterschaft den Kampf der kleinen sozialdemokratischen Fraktion für die Demokratie und den Sozialismus. Obwohl die Verfolgungen den illegalen und legalen Organisationen des Proletariats noch immer keine stete Entwicklung und Zusammenfassung erlauben, kann sich die sozialdemokratische Fraktion auf eine wachsende Kampflust der Arbeitermassen berufen, die ihren Worten Nachdruck verleihen. Die Regierung wie die bürgerlichen Parteien wissen, daß die Dumatribüne nicht mehr ein verlorener Posten für die Sozialdemokratie ist, sondern

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[1] Der Artikel ist nicht gezeichnet, Rosa Luxemburg ist aber vermutlich die Autorin. Sie war um diese Zeit äußerst aktiv im Kampf gegen die Spaltung der SDAPR. Inhaltliche Bezüge gibt es zu ihrem Artikel Aus dem russischen Parteileben. In: Bd. 7/2, S. 730 ff. und zu ihrem Credo von 1911, siehe ebenda, Fußnote 1. Grundsätzliche Anknüpfungspunkte befinden sich außerdem in ihrem Artikel Lehren aus den drei Dumas von 1908, in dem es z. B. heißt: „Die jetzige Revolution in Rußland faßt die Ergebnisse und Aufgaben aller modernen Revolutionen in Westeuropa zusammen. Die Vorhut des polnischen und russischen Proletariats zieht in den Kampf, ohne noch Illusionen zu haben – weder über die jakobinischen Methoden bezüglich der Herrschaft einer ‚revolutionären Minderheit‘ noch über die Möglichkeit, die bürgerliche Herrschaft sofort beseitigen und ‚soziale Gleichheit‘ einführen zu können, und auch nicht über die wundertätigen Eigenschaften der republikanischen Regierungsform. Sie weiß hingegen, daß die Republik lediglich die höchste politische Form der bürgerlichen Gesellschaft ist. Doch das Fehlen von Illusionen schwächt die revolutionäre Kraft des Proletariats nicht etwa, sie stärkt sie vielmehr. Das Proletariat im russischen Staat erwartet von der Republik keine endgültige Erlösung, betrachtet sie aber als unerläßliches Instrument auf dem Wege zu dieser Erlösung.“ Siehe Rosa Luxemburg. Arbeiterrevolution 1905/06. Polnische Texte. Hrsg. und übersetzt von Holger Politt, Berlin 2015, S. 263 f.

[2] Die sozialdemokratische Fraktion in der IV. Reichsduma in Rußland setzte sich aus sieben Menschewiki und sechs Bolschewiki zusammen.