Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 730

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Aus dem russischen Parteileben

[1]

Die Parteipresse hat kürzlich eine Mitteilung über eine angebliche Parteikonferenz der russischen Sozialdemokratie gebracht, die an das Internationale Sozialistische Büro durch den Genossen Lenin gemacht worden ist. An diese Mitteilung hat der „Vorwärts“ längere Bemerkungen geknüpft, in denen er über eine andere in Vorbereitung begriffene Konferenz Mitteilung macht, die eine „wirkliche Vertretung der Gesamtpartei Rußlands“ zustande bringen soll. Desgleichen bringt der „Vorwärts“ eine Resolution verschiedener Richtungen und Gruppen zum Ausdruck, die gegen die Beschlüsse der Leninschen Konferenz protestiert und ihr Auftreten im Namen der Gesamtpartei als Betrug kennzeichnet. Die Zuschrift im „Vorwärts“ endet mit der Erklärung, daß sämtliche Richtungen an jener Protestresolution teilgenommen haben, „mit Ausnahme der Sozialdemokratie Polens und Litauens, deren Haltung in dieser Frage uns unbekannt ist“.[2]

Dazu wird uns aus den leitenden Kreisen der Sozialdemokratie Polens und Litauens mitgeteilt:

1. die Behauptung, die Haltung der polnischen Sozialdemokratie in der jetzigen Parteikrise sei unbekannt, widerspricht den Tatsachen. Noch bevor die Besprechung der im obigen Protest vereinigten Gruppen stattgefunden hat, ja, als noch jene Leninsche Konferenz, gegen die der Protest erhoben wird, in Vorbereitung war, hat die Sozialdemokratie Polens und Litauens zweimal, in einer Resolution ihres Zentralkomitees wie in einem offenen Briefe, der sich mit der Sachlage in der Partei befaßt,

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[1] Diese Mitteilung ist nicht gezeichnet, aber gewiß von Rosa Luxemburg und in Abstimmung mit Leo Jogiches verfaßt worden. Dafür sprechen Bemerkungen im Brief von Anfang April 1912 an Jogiches, siehe GB, Bd. 4, S. 191, und die inhaltliche Übereinstimmung mit ihrem Credo von 1911. Siehe Feliks Tych: Ein unveröffentlichtes Manuskript von Rosa Luxemburg zur Lage in der russischen Sozialdemokratie (1911). In: IWK, 27. Jg., September 1991, Heft 3, S. 344 f. – In der RL-Bibliographie von Feliks Tych, 1971 (Feliks Tych: Uzupelnienia do Bibliographii Prac [Pierwodruków] Rózy Luksemburg. In: Z pola walki 1971, Nr. 1), ist die Mitteilung unter Nr. 56 ausgewiesen.

[2] W. I. Lenins Bericht an das Internationale Sozialistische Büro über die Gesamtrussische Konferenz der SDAPR, der die vom 18. bis 30. Januar 1912 in Prag durchgeführte Parteikonferenz betraf, war am 26. März 1912 im Vorwärts (Berlin) veröffentlicht worden. Der im Vorwärts anonym angefügte Kommentar, der das Vorgehen der Bolschewiki kritisierte, stammte aus der Feder Leo Trotzkis. Die ebenfalls veröffentlichte Resolution gegen die Prager Konferenz war von Vertretern des Auslandskomitees des Jüdischen Arbeiterbundes, der im Gegensatz zu Lenin stehenden Bolschewiki, der Gruppe Wperjod, des Golos Sozialdemokrata, der von Trotzki geleiteten Wiener Prawda und der Anhänger Plechanows beschlossen worden.