Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 731

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ihre entschiedenste Verurteilung des Leninschen Vorhabens ausgesprochen und den wahren Charakter dieser fraktionellen Veranstaltung gekennzeichnet sowie jede Beteiligung an ihr abgelehnt.

2. Daraus ergibt sich schon, daß die polnische Sozialdemokratie gar keinen Anlaß hatte, nachdem sie bereits in aller Deutlichkeit ihren Standpunkt präzisiert hatte, einem nachträglichen Protest der anderen Gruppen beizutreten. Letzteres hätte sie aber auch ohnehin nicht getan, und zwar aus folgenden Gründen. Dieser Protest ist insofern einseitig, als er die Spaltungsbestrebungen von links, seitens der Leninschen Gruppe zurückweist, gleichzeitig aber kein Wort des Protestes findet gegen die Spaltungsversuche von rechts, nämlich seitens der offenen und verkappten Freunde der extrem opportunistischen sogenannten liquidatorischen Richtung in der Partei. Wir sind der Meinung, daß die Vermengung der Proteste von Richtungen, die auf sehr verschiedenem Boden stehen, zu einem gemeinsamen Vorgehen gegen einen beträchtlichen Teil des linken Flügels nur zur Verwirrung der Sachlage führen und Wasser auf die Mühle des Opportunismus treiben kann.

3. Einen solchen Versuch, eine neue Spaltung hervorzurufen, die geeignet sei, das Liquidatorentum zu stärken, erblicken wir auf Grund unserer Kenntnis der Verhältnisse in dem Vorhaben, nunmehr eine Konferenz einzuberufen, die angeblich „die wirkliche Vertretung der Gesamtpartei“ zustande bringen wird.

Dieser Versicherung widerspricht indessen die Tatsache, daß die Einberufer die Einberufung der Konferenz auf Grundlagen planen, die den Bestimmungen der letzten Plenarsitzung des russischen Zentralkomitees direkt zuwiderlaufen.[1] Im Gegensatz zu den klipp und klaren Weisungen des Komitees sind für die jetzt geplante Konferenz Bedingungen festgesetzt, die den Liquidatoren auf den Leib geschnitten sind. Dies bewirkt, daß die Teilnahme an einer solchen Konferenz für die polnische Sozialdemokratie – von den Organisationen Leninscher Richtung gar nicht zu reden – unmöglich sein würde, was den Einberufern dieser angeblich allgemeinen Parteikonferenz nach den letzten Vorgängen in der Partei vollständig klar sein müßte.[2]

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[1] Das Januar/Februar-Plenum des ZK der SDAPR hatte vom 15. Januar bis 7. Februar 1910 in Paris getagt. Die SDKPiL war durch Leo Jogiches und Adolf Warski vertreten. Unter dem Einfluß der SDKPiL und von Vertretern der „versöhnlerischen“ Linie der Bolschewiki hatte das Plenum gegen Lenin und seine Gruppe die Auflösung der Fraktionen in der Partei und die Einstellung der fraktionellen Presseorgane beschlossen. Der Parteifonds (das sog. Schmitsche Legat), der sich bis dahin in den Händen der Bolschewiki befunden hatte, war ebenfalls auf Plenumsbeschluß bei drei Vertretern der deutschen Sozialdemokratie – Karl Kautsky, Franz Mehring und Clara Zetkin – hinterlegt worden, die als Treuhänder fungierten. Siehe Dietrich Geyer: Kautskys Russisches Dossier. Deutsche Sozialdemokraten als Treuhänder des russischen Parteivermögens 1910–1915, Frankfurt/Main/New York 1981, S. 25 ff. und S. 264 ff.

[2] Im handschriftlichen Credo Rosa Luxemburgs zur Lage in der russischen Sozialdemokratie von 1911 heißt es dazu: „Kein Ausschluß von Gruppen, die der Partei angehören, mit Hilfe fraktioneller Auseinandersetzungen, Schaffung eines festen ideologischen Kerns zur Stützung der Parteieinheit und zur Bekämpfung der Gefahr von seiten der Liquidatoren im Schoß der Partei – das war der klar umrissene Plan, den die Repräsentanten der SDKPiL vorbringen mußten. Gleichzeitig enthielt dieser Plan noch einen weiteren höchst wichtigen Punkt: Das Parteileben sollte um keinen Preis ausschließlich und vollständig von internen Streitigkeiten absorbiert werden. Wenn Lenin und seine Freunde den Kampf mit dem Liquidatorentum als einzige Parole der Parteipolitik verkündeten, dann mußten die Repräsentanten der SDKPiL daneben die Parole: Kampf gegen die Reaktion und die Parole: Vorbereitung zu den Wahlen zur IV. Duma [September/Oktober 1912] in den Vordergrund stellen. Berücksichtigung der allgemeinen Aufgaben der Partei, Zusammenführung und Stärkung der Organisationen für den Wahlkampf, Regulierung und Stärkung des gewerkschaftlichen Kampfes mit Rücksicht auf die Belebung der Massenbewegung und der Streikwelle, Regelung des Problems der legalen Tätigkeit, Wiedererrichtung der Zentren der illegalen Arbeit – all das steht vor der gesamtstaatlichen Partei als brennende Aufgabe. Um diese Aufgaben zu erledigen und daneben die vereinigte Partei zu erneuern und das ZK wiedereinzusetzen, dazu war eine Gesamtparteikonferenz unerläßlich, zu der alle Organisationen und Richtungen einberufen werden sollten, die sich zur Partei zählen, – das ist die Taktik, die die Vertreter der SDKPiL vorschlugen, da sie überzeugt sind, daß sie nur auf diese Weise im Geist des ihnen von unserer Partei übertragenen Mandats, im Geist der Beschlüsse ihrer Parteikonferenzen und Kongresse, im Geist unserer ganzen Parteitaktik handeln. […] Pflicht aller Genossen ist es nun, mit aller Kraft diese Vorarbeiten zur Einberufung einer Gesamtparteikonferenz zu unterstützen. Die Sozialdemokratie muß noch einmal die innere Zersetzung überwinden, muß mit harter Hand die Hydra dieser wilden Instinkte des Fraktionstums, die ihr Inneres zerfleischen, und auch den an ihr nagenden Krebs des opportunistischen Liquidatorentums erdrosseln.“ Siehe Feliks Tych: Ein unveröffentlichtes Manuskript von Rosa Luxemburg, S. 352 f. und 357.