Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 882

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Erklärungen am 29. Juni und am 3. Juli 1914 vor dem Landgericht in Berlin

[1]

Nach Zeitungsberichten

I

Ich habe die unter Anklage gestellten Worte gesprochen und werde sie als wahr nachweisen. Ich verstand unter den Dramen (so fügt die Angeklagte auf eine Frage des Vorsitzenden hinzu) die Soldatenmißhandlungen aller Art,[2] nicht etwa nur besonders schwere.

Es gelangt ein Bericht der Freiburger „Volkswacht“ über den Vortrag der Angeklagten, den sie in Freiburg über „Militarismus und Volksfreiheit“ gehalten hat und

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[1] Überschrift der Redaktion. – Die Erklärung ist in der RL-Bibliographie von Feliks Tych, 1962 (Jadwiga Kaczanowska przy konsultacji i wspólprácy Feliksa Tycha: Bibliografia Pierwodruków Rózy Luksemburg. Nadbitka Z pola walki, kwartalnik Poswiecony Dziejom Ruchu Robotniczego, Warschau 1962 Nr. 3 [19]), unter Nr. 603 ausgewiesen.

Diese Erklärung befindet sich in einem ausführlichen Bericht des Vorwärts (Berlin) unter der Überschrift Soldatenmißhandlungen vor einem Zivilgericht, in dem detailliert von der Eröffnung des Prozesses die Rede ist, den der preußische Kriegsminister v. Falkenhayn gegen Dr. Rosa Luxemburg einleiten ließ. „Vorsitzender der Strafkammer“, heißt es darin, „ist der Landgerichtsdirektor Dr. Seligmann, Anklagevertreter der Erste Staatsanwalt Hagemann, die Verteidigung wird von den Rechtsanwälten Dr. Kurt Rosenfeld-Berlin und Dr. Levi-Frankfurt a. Main geführt. Das preußische Kriegsministerium läßt den Prozeß stenographieren und hat einen Kriegsgerichtsrat zur Verhandlung entsandt.

Unmittelbar nach Eröffnung der Sitzung und nachdem die von der Verteidigung geladenen Zeugen, über 100 an der Zahl, darunter auch der von der preußischen Reaktion aus seinem Husumer Bürgermeisteramt hinausgeworfene jetzige Dortmunder Rechtsanwalt Dr. Schücking, in den Saal gerufen worden waren, hielt der Vorsitzende Landgerichtsdirektor Dr. Seligmann folgende Ansprache:

Der besondere Charakter der heutigen Verhandlung veranlaßt mich hervorzuheben, daß ich unbeschadet des Rechts der Angeklagten auf ihre Verteidigung, woran in keiner Weise gerüttelt werden soll, keinerlei Erörterungen, Äußerungen und Kritiken zulassen werde, die über das Erfordernis der Verteidigung hinausgehen und über den Zweck dieser Verhandlung hinaus dazu dienen, einzelne Personen, Berufsstände oder Staatseinrichtungen anzugreifen oder herabzuwürdigen. […] Hier ist nicht der Ort zu irgendwelchen politischen Erörterungen. […] Eröffnungsbeschluß […] Durch diesen wird die Angeklagte als hinreichend verdächtig erklärt, durch eine Volksversammlungsrede am 7. März 1914 zu Freiburg i. Br. die Offiziere und Unteroffiziere des preußischen Heeres durch Anführung nicht erweislich wahrer Tatsachen öffentlich verächtlich gemacht zu haben. Die unter Anklage gestellten Worte schließen sich an die Erwähnung eines Soldatenselbstmordes in Metz an, der nach Aussage des Vaters des Selbstmörders wegen Mißhandlungen erfolgt ist und lauten:

‚Eines ist klar: es ist sicher eines von den vielen, den unzähligen Dramen, die sich in den deutschen Kasernen tagaus tagein abspielen und wo nur selten das Stöhnen der Beteiligten zu unseren Ohren gelangt.‘

In dem Strafantrag des Kriegsministers, wo er erst alle Offiziere und Unteroffiziere, dann alle Angehörigen der preußischen Armee als Beleidigte bezeichnete, ist dieser Passus angeführt.“ Siehe Vorwärts (Berlin), Nr. 175 vom 30. Juni 1914.

[2] Siehe Rosa Luxemburg: Notizen zur Prozeßvorbereitung über Soldatenmißhandlungen. In: GW, Bd. 7/2, S. 853 ff.