Halbaffen
[1]„Es ist eine der wundervollen Wirkungen dieser großen Zeit, daß unsere Instinkte wieder klarer und sicherer geworden sind.“ Mit diesen Worten beginnt ein in den letzten Tagen im „Berl[iner]Tageblatt“ erschienener Aufsatz des bekannten Professors Werner[2] Sombart über „Unsere Feinde“. Diese sichtet unser Professor scharf mit seinen klar gewordenen Instinkten, legt sie alle nacheinander auf die Waage und findet, daß nur die drei großen Völker: die Franzosen, die Russen und namentlich die Engländer, seinen Haß oder wenigstens Respekt verdienen. Die anderen Völker, mit denen deutsche Soldaten jetzt auf blutigen Schlachtfeldern ringen, will der Professor nicht einmal des Hasses würdigen:
„Die Kleinen – sagt er – einschließlich Japan, scheiden aus. Wir können unmöglich, wenn uns heute Monaco und morgen Marokko den Krieg erklärt, solche künstlichen Gebilde mit unserem Gefühl als Kollektivkörper erfassen. So mögen hier auch die Stimmungen des Einzelnen diesen Nebenfeinden gegenüber schwanken. Ich persönlich empfinde das ‚Königreich‘ Montenegro als einen schlechten Witz der Weltgeschichte. Belgien betrachte ich als eine Mißgeburt der Politik und die belgische ‚Nationalität‘ hat für mich einen leisen Anflug von Komik. Im übrigen können einem die Leute leid tun. Serben und Japaner lösen eher ein Gefühl des Widerwillens und Abscheus aus, und ich komme von dem Gedanken nicht los, daß man ehrliche Waffen beschmutzt, wenn man mit solchen Völkern ficht. Die Serben kennen wir ja nur als Mausefallenhändler und Studenten und dann aus ihrer unsagbar schmutzigen Regentengeschichte. Die Japaner, mit denen man ja als akademischer Lehrer nur allzu oft zu tun hat, habe ich schon vor dem Kriege nie eigentlich als Menschen, sondern immer nur als außerordentlich gelehrige Halbaffen angesehen. Ein eigentlich menschliches Gefühl ihnen gegenüber wird man schwer aufbringen können. Auch ganz gewiß keinen Haß. Man ‚haßt‘ doch auch den Köter nicht, der einem auf der Straße in die Waden fährt, sondern begnügt sich damit, ihn zu verprügeln.“[3]
Nur nebenbei sei bemerkt, daß der Gelehrte wohl vergessen hat, sich über die „Halbaffen“ wenigstens in seinem Lehrbuch der Geographie einigermaßen zu informieren, sonst würde er ein Land, das als Gebiet vier Fünfteln des Deutschen Reiches
[1] Der Artikel ist nicht gezeichnet. Rosa Luxemburg ist aber gewiß die Autorin, denn Mathilde Jacob hat auf ihrem Exemplar handschriftlich RL vermerkt.
Nr. 1 der Sozialdemokratischen Korrespondenz (SK) war am 27. Dezember 1913 mit Rosa Luxemburgs Artikel Arbeitslos! in Berlin erschienen. Siehe GW, Bd. 3, S. 363 ff. Angekündigt worden war die SK durch Julian Marchlewski, Rosa Luxemburg und Franz Mehring am 17. Dezember 1913, nachdem es mit der Redaktion der Leipziger Volkszeitung zum Bruch gekommen war. Unter Brüskierung von Julian Marchlewski, des amtierenden Chefredakteurs der LVZ, war Anfang Oktober 1913 Rosa Luxemburgs kritischer Artikel Nach dem Jenaer Parteitag, auf dem heftige Debatten mit und über Rosa Luxemburg stattgefunden hatten, abgelehnt worden. Siehe GW, Bd. 3, S. 243 ff. und 358 f. Die SK erschien 1913/1914 dreimal wöchentlich, ab Januar bis Mai 1915 nur noch einmal wöchentlich mit der Wirtschaftlichen Rundschau von Julian Marchlewski.
Seit Beginn des Ersten Weltkrieges mit Belagerungszustand und Pressezensur signierte Rosa Luxemburg ihre Beiträge für die SK nicht mehr, um den Polizei- und Militärbehörden keine Anhaltspunkte für Anklagen zu geben.
Glücklicherweise sind viele Nummern der SK bei Mathilde Jacob erhalten geblieben. Auf ihnen befinden sich von Mathilde Jacob handschriftlich die Initialen der Autoren vermerkt. Sie hat bekanntlich die Manuskripte von Rosa Luxemburg, Franz Mehring und Julian Marchlewki für die SK abgeschrieben. Ihre Sammlung der SK wurde ca. 1940/41 an die Familie von Fritz Winguth, Berlin, übergeben und ist seit den 1980er Jahren in Privatbesitz. Kopien davon befinden sich in Hoover Institution Archives, Stanford, Kalifornien/USA, in den Rosa Luxemburg and Mathilde Jacob Papers und bei Ottokar Luban, Berlin. Über die Auswertung siehe Ottokar Luban: Erstmalig identifizierte Artikel Rosa Luxemburgs in den Kriegsnummern der „Sozialdemokratischen Korrespondenz“ (August bis Dezember 1914). In: Rosa Luxemburg im internationalen Diskurs. Internationale Rosa-Luxemburg-Gesellschaft in Chicago, Tampere, Berlin und Zürich (1998–2000). Hrsg. von Narihiko Ito, Annelies Laschitza und Ottokar Luban, Berlin 2002, S. 276 ff.; ders.: Mathilde Jacob – mehr als Rosa Luxemburgs Sekretärin! In: Rosa-Luxemburg-Forschungsberichte, Heft 6, Leipzig 2008, S. 196 ff., bes. S. 210. – Siehe auch Hannah Lotte Lund: „Ich umarme Sie mit großer Sehnsucht“, Rosa Luxemburg und Mathilde Jacob. In: Elke-Vera Kotowski, Anna-Dorothea Ludewig, Hannah Lotte Lund: Zweisamkeiten. 12 außergewöhnliche Paare in Berlin, Berlin 2016, S. 89 ff.
[2] „Werner“ handschriftlich eingefügt.
[3] Siehe Werner Sombart: Unsere Feinde. In: Berliner Tageblatt, Nr. 557 vom 2. November 1914.