Unter einer Regierungspartei
[1]Bei den Reichstagsdebatten über eine Verlängerung des Sozialistengesetzes[2] – irren wir nicht ganz, war es im Jahre 1884 – erließ Professor Mommsen, dazumal Reichstagsabgeordneter für Coburg, ein feierliches Handschreiben an seine Wähler, worin er mit zwingenden Gründen darlegte, die Verlängerung des Sozialistengesetzes sei ein großes Unglück für Deutschland, aber wenn die Regierung auf ihr bestände, so
[1] Der Artikel ist mit ♂, einem von Rosa Luxemburgs Zeichen versehen, das sie auch für Beiträge in der SAZ 1898 häufig verwendet hat. Siehe GW, Bd. 6, S. 129 ff.
Der Kampf. Sozialdemokratisches Propaganda-Organ für Rheinland und Westfalen. Publikations-Organ für die sozialdemokratischen Vereine der Reichstags-Wahlkreise Duisburg-Mülheim-Oberhausen-Hamborn und Moers-Rees Duisburg, Redaktion, Druck und Verlag: C. Minster Duisburg, 1. u. 2. Jg., erschien vom 1. Juli 1916 bis zum Verbot im Juni 1917. Von Mai bis Dezember 1916 hatte er unter Vorzensur gestanden. Im April 1917 floh Carl Minster in die Niederlande, um dem Gestellungsbefehl zur Armee zu entkommen. Für April/Mai 1917 war für Jg. 2, Der Kampf. jetzt Sozialdemokratisches Propaganda-Organ, Duisburg, Ernst Schmidt verantwortlich. In Amsterdam erschien unter der Redaktion von C. Minster Der Kampf ab 26. April 1917 als neuer 1. Jg., Nr. 1, bis Nr. 42 vom 16. Februar 1918, nunmehr als Revolutionäres Sozialistisches Wochenblatt. Der Kampf wurde generell illegal vertrieben.
Auch Rosa Luxemburgs Arikel gelangten auf illegalem Wege nach Duisburg. Wer die vermittelnden Personen waren, kann bis jetzt nicht nachgewiesen werden. In Frage kämen z. B. Leo Jogiches, Ernst Meyer, Mathilde Jacob, Sophie Liebknecht und Rosi Wolfstein. Daß es Möglichkeiten für das Herausschmuggeln der Artikel aus Wronke gab, dafür haben ihre Freundinnen gesorgt, die sie besuchten, und auch ein wenig die Nachsicht des Gefängnisdirektors, Dr. Dossmann. In dessen Erinnerungen steht: „Dadurch, daß ihr Gärtchen bis an die äußere Mauer reichte, hatte sie Gelegenheit mit Freunden in der Außenwelt in Verbindung zu treten. Ob sie davon Gebrauch machte, ist mir nicht bekannt. Das Generalkommando legte größten Wert darauf, daß sie ja an keinen Briefkasten herankam. Im Weiteren bekam ich das Recht, die Zensur selbst auszuüben. Ich gab ihr die Gelegenheit, Briefe herauszuschaffen. Wenn sie einen Brief schickte, den ich nicht durchlassen durfte, zerriß ich ihn einmal mitten durch und legte ihn so hin, daß ihn ein Besucher, der zu ihr kam, mitnehmen konnte. Außerdem hatte ihre Sekretärin M. Jacob genau die gleiche Handtasche wie R. Luxemburg. So bestand die Möglichkeit, die Taschen zu tauschen und Material zukommen zu lassen.
Die Besuche mußten vom Oberkommando genehmigt werden und die waren sehr zurückhaltend mit Genehmigungen. Sie erhielt ungefähr alle drei bis vier Wochen Besuch. Die Besucher stiegen im ‚Fremdenhof Gegenmantel‘ in Wronke ab und blieben drei Tage. Der Besuch sollte nur 15 Minuten dauern, dauerte aber vier – fünf Stunden. Bei den Besuchen sollten eigentlich zwei Aufsichtspersonen zugegen sein, aber es genügte, wenn auch ich alleine da war. Meistens machte ich das so, daß ich mich im Besuchszimmer in eine Ecke an den Tisch setzte und arbeitete, während sich R. Luxemburg mit dem Besucher in die andere Ecke setzte und sich, ‚um mich nicht zu stören‘, leise unterhielt. Ich legte die Besuche meistens in die Zeit, da die Oberin, die denunzierte, nicht anwesend war.“ Siehe Erinnerungen von Dr. Ernst Dossmann. In: SAPMO-BArch, NY 4002/67, Bl. 2 f.
[2] Siehe S. 95, Fußnote 4.