Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 1040

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Ein neues Versprechen

[1]

Am Morgen des ersten Ostertages hat der Reichskanzler einen an ihn gerichteten Erlaß des Kaisers veröffentlicht, der vom „Vorwärts“ mit jubelndem Entzücken,[2] vom „Berliner Tageblatt“ dagegen mit einigen kritischen Stimmen begrüßt worden ist.[3] Was uns anbetrifft, so müssen wir gestehen, daß die Interessen der Arbeitermassen von dem journalistischen Stabe des Herrn Rudolf Mosse[4] immerhin noch ein wenig besser gewahrt werden als von dem Organe des Regierungssozialismus, das sich gern mit Worten abspeisen läßt, wenn es sich dadurch eine Galgenfrist erkaufen zu können hofft.

Nicht als ob wir an der Ehrlichkeit der Worte zweifeln wollten, die in dem Kaiserlichen Erlasse an den Reichskanzler gebraucht worden sind. Wir nehmen sie ganz so auf, wie sie gemeint sind. Der Erlaß verspricht, zwar nicht für die Gegenwart, aber doch für die Zukunft, wenn der Friede geschlossen und „die Heimkehr unserer Krieger gekommen ist“, „eine Umbildung des preußischen Landtags“, für die noch während des Krieges bestimmte Vorschläge des Staatsministeriums vorbereitet werden sollen. Als Richtlinien dieser Umbildung verzeichnet der Erlaß: „Nach den gewaltigen Leistungen des ganzen Volkes in diesem furchtbaren Kriege ist nach meiner Überzeugung für das Klassenwahlrecht in Preußen kein Raum mehr. Der Gesetzentwurf wird ferner unmittelbare und geheime Wahl der Abgeordneten vorzusehen haben.“ Soweit über das Abgeordnetenhaus. Vom Herrenhaus wird gesagt: „Die Verdienste des Herrenhauses und seine bleibende Bedeutung für den Staat wird kein König von Preußen verkennen. Das Herrenhaus wird aber den gewaltigen Anforderungen der kommenden Zeit besser gerecht werden können, wenn es in weiterem und gleichmäßigerem Umfange als bisher aus den verschiedenen Kreisen und Berufen des Volkes führende, durch die Achtung ihrer Mitbürger ausgezeichnete Männer in seiner

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[1] Der Artikel ist mit ♂, einem von Rosa Luxemburgs Zeichen versehen, das sie auch für Beiträge in der SAZ 1898 häufig verwendet hat. Siehe GW, Bd. 6, S. 129 ff. In der RL-Bibliographie von Feliks Tych, 1962 (Jadwiga Kaczanowska przy konsultacji i wspólprácy Feliksa Tycha: Bibliografia Pierwodruków Rózy Luksemburg. Nadbitka Z pola walki, kwartalnik Poswiecony Dziejom Ruchu Robotniczego, Warschau 1962 Nr. 3 [19]), ist der Artikel unter Nr. 649 ausgewiesen; ebenso in der Bibliographie von Narihiko Ito von 2002, S. 25 unter Nr. 48. – Siehe auch S. 995, Fußnote 1.

[2] Siehe Preußens Auferstehung. In: Vorwärts (Berlin), Nr. 96 vom 8. April 1917.

[3] Siehe Die Osterbotschaft des Kaisers. In: Berliner Tageblatt, Nr. 150 vom 10. April 1917.

[4] Rudolf Mosse gehörte zu den einflußreichsten Verlegern Berlins. Er gab seit 1871 das Berliner Tageblatt heraus, das der Freisinnigen Vereinigung politisch und personell nahestand, sowie ab 1891 die Berliner Volks-Zeitung, die mit dieser Partei in innenpolitischen Fragen übereinstimmte.