Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 683

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Der deutsche Imperialismus

[1]

Es ist noch völlig in Dunkel gehüllt, womit der neueste Vorstoß des deutschen Imperialismus enden wird: mit Scheinentschädigungen oder einem wirklichen Machtzuwachs, und trotzdem ergreift eine tiefe Mißstimmung die imperialistischen Kreise. Nicht nur polternde alldeutsche Oberlehrer, die, in Jägerhemden gehüllt, nach der gepanzerten Faust rufen, nicht nur die berufsmäßigen Kriegshetzer aus den Interessentenkreisen, nicht nur militärische Prestigepolitiker, sondern selbst gouvernementale Elemente beginnen gegen die Regierung zu rumoren und kündigen ihre Fehde an für den Fall, daß sie keine wertvolle Trophäen von der Pantherjagd[2] nach Hause bringt. Mit Spott und Hohn werden die Offiziösen und ihre Auffassungen übergossen, und das in einer Sprache, von der alle „Praktiker des Sauherdentons“ beschämt die Segel streichen müssen. Das tiefe Mißtrauen, das so weite Kreise der Freunde imperialistischer Politik zu ihrer Leitung fühlen, ist nichts Neues. Seit dem Sansibar-Vertrag im Jahre 1890,[3] in dem sich die Regierung arge Blößen gab, löste jeder Schritt, den sie auf dem Gebiete der auswärtigen Politik tat, Erregung und Mißtrauen aus. Diese Überzeugung, daß einer jeden Fanfare des deutschen Imperialismus eine Schamade folgen müsse, darf nicht verwechselt werden mit der bekannten Mache aller Regierungen, die, um ihre diplomatischen Positionen zu stärken, sich eine Kohorte wilder Männer halten, deren Gebrüll sie später bei Unterhandlungen ausnützen, um zu erklären: die nationale Seele rast, wir können keine Zugeständnisse machen. Nein,

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[1] Der Artikel erschien anonym, ist aber vermutlich von Rosa Luxemburg verfaßt. Im Zusammenhang mit der zweiten Marokkokrise beteiligte sie sich intensiv an der Debatte über Ursachen und Folgen imperialistischer Weltpolitik. Außerdem hatte sie ihre Schrift Die Akkumulation des Kapitals in Arbeit, die sie als Beitrag zur ökonomischen Erklärung des Imperialismus verstand und Anfang 1913 veröffentlichte. Siehe GW, Bd. 5, S. 5 ff. – Auch die Jakuten tauchen hier nicht das erste Mal auf. Siehe dies: Handschriftliche Fragmente über Widersprüche und Tendenzen des Kapitalismus. In: GW, Bd. 7/1, S. 225, siehe auch dies.: Politischer Fetischismus. In: GW, Bd. 6, S. 358.

[2] Gemeint ist die Entsendung der deutschen Kriegsschiffe „Panther“ und „Berlin“ im Frühjahr 1911 nach Agadir. Damit hatte Deutschland auf den Versuch Frankreichs geantwortet, seine Herrschaft auf ganz Marokko auszudehnen und endgültig zu festigen. Diese Provokation beschwor eine unmittelbare Kriegsgefahr herauf. Das Eingreifen Englands zugunsten Frankreichs zwang die deutschen Kolonialpolitiker zum Nachgeben.

[3] Der Vertrag vom 1. Juli 1890 zwischen dem Deutschen Reich und Großbritannien über die Kolonien und Helgoland, oft fälschlich als Helgoland-Sansibar-Vertrag bezeichnet, regelte die Beziehungen zwischen Gebiets- und Hoheitsansprüchen der beiden Staaten im kolonialisierten Afrika. Zugleich übertrug Großbritannien die Nordseeinsel Helgoland an Deutschland. Sansibar gehörte nie als Kolonie zu Deutschland.