Monarchie, Kaiserreden und Sozialdemokratie. Rede am 10. und 11. September 1910 in Schopfheim und Lörrach
[1]Nach einem Zeitungsbericht
Einleitend wies die Rednerin darauf hin, daß wir uns hier auf historischem Boden befänden, indem es gerade in diesen Tagen 62 Jahre wird, daß Lörrach, wenn auch leider nur für eine kurze Spanne Zeit gewissermaßen der Mittelpunkt in der politischen Geschichte Deutschlands gewesen sei, wo der Republikaner Struve an der Spitze einer kleinen demokratischen Mehrheit vom Rathaus Besitz ergriffen und die deutsche Republik proklamiert habe.
Wenn damals der Sieg nicht auf Seiten des Volkes geblieben, so trage daran wahrhaftig das Volk nicht die Schuld, sondern sie treffe den Liberalismus, der zu feig war, die einmal errungene Macht auszunützen und durchzuführen.
An dieser Erinnerung gemessen, sei es interessant, zu sehen, wie weit wir in diesen 60 Jahren gekommen sind. Schärfer als je erhebt der Absolutismus sein Haupt. Hätten die Liberalen damals ihre Pflicht und Schuldigkeit getan, so brauchten wir uns heute nicht mit solchen politischen Vorgängen, wie sie die letzten Kaiserreden bedeuten, zu befassen. In scharf pointierten Worten geißelt die Rednerin sodann unter stürmischen Beifallskundgebungen die neuesten beiden Kaiserreden,[2] die nichts andres als eine Mißachtung von Parlament, Volk und Verfassung bedeuteten. Wenn wieder in der Kaiserrede zur Sammelpolitik geblasen würde, so wisse man recht wohl, was unter der „Zusammenfassung aller Kräfte“ verstanden werden sollte: Sturm auf der ganzen Linie gegen die von Sieg zu Sieg schreitende Sozialdemokratie, um die fort-
[1] Die Rede ist in der RL-Bibliographie von Feliks Tych, 1962 (Jadwiga Kaczanowska przy konsultacji i wspólprácy Feliksa Tycha: Bibliografia Pierwodruków Rózy Luksemburg. Nadbitka Z pola walki, kwartalnik Poswiecony Dziejom Ruchu Robotniczego, Warschau 1962 Nr. 3 [19]), (Jadwiga Kaczanowska przy konsultacji i wspólprácy Feliksa Tycha: Bibliografia Pierwodruków Rózy Luksemburg. Nadbitka Z pola walki, kwartalnik Poswiecony Dziejom Ruchu Robotniczego, Warschau 1962 Nr. 3 [19]), unter Nr. 478 ausgewiesen. Sie sprach auf Einladung der Textilarbeiter. Zu beiden Versammlungen fanden sich die Proletarier von nah und fern in Scharen ein. Hunderte fanden keinen Platz mehr. In Lörrach standen die Massen, soweit sie im Saal und auf den Galerien nicht unterkommen konnten, in den Korridoren, vor den Fenstern und auf der Tribüne.
[2] Laut Volksfreund (Karlsruhe), Nr. 199 vom 27. August 1910, hatte Wilhelm II. am 26. August 1910 [25.!] in einer Rede in Königsberg das angebliche Gottesgnadentum seiner monarchischen Stellung betont, die nicht von Parlamenten, Volksversammlungen und Volksbeschlüssen abhängig sei, und seinen Willen zur Stärkung des persönlichen Regiments bekundet. Stets gelte es bereit zu sein, unsere Rüstungen lückenlos zu erhalten im Hinblick darauf, daß unsere Nachbarmächte so gewaltige Fortschritte gemacht haben, denn nur auf unserer Rüstung beruhe der Friede. „Ohne Rücksicht auf Tagesansichten und Meinungen gehe ich meinen Weg“, schloß er, „der einzig allein der Wohlfahrt und friedlichen Entwicklung unseres Vaterlandes gewidmet ist.“ Im In- und Ausland hatte sein provokatorisches Auftreten Aufsehen und Empörung hervorgerufen, so daß seine Rede am 29. August 1910 in Marienburg als eine gewisse Korrektur angesehen wurde.