Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 712

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Die politische Lage und die Sozialdemokratie. Vortrag am 3. Dezember 1911 im Volkspark in Halle (Saale)

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Nach einem Zeitungsbericht

Wir gehen, so führte sie aus, einer Reichstagswahl entgegen, wie wir sie seit 40 Jahren noch nicht erlebt haben. Großes und Wichtiges steht auf dem Spiele. Die Zeit ist stürmisch bewegt und das drohende Gespenst eines europäischen Krieges steht vor der Türe.

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[1] Zu dem Thema trat sie vom 1. bis 13. Dezember 1911 jeden Tag in einem anderen Ort auf, wie sie am 29. November 1911 an Kostja Zetkin schrieb: Am 1. sei sie in Leipzig, dann 2. Markranstädt, 3. Halle a/S., Volkspark, 4. Eisenberg, Altenburger Hof, 5. Meuselwitz, Goldene Weintraube, 6. Altenburg, Waldschlößchen, 7. Schmölln, Lohsenburg, 8. Plauen i. V., Herm. Bauer, Konsumverein Südstraße, 9. Netzschkau, Bayrischer Hof, 10. Ellefeld, ?, 11. Dresden-Pieschen, Deutscher Kaiser, 12. Pirna, ?, 13. Nowawes bei Berlin „(bin also schon zu Hause). Am 14. werde ich noch eine Rede im 1. Berliner Wahlkreis für Düwell halten, dann Schluß bis Neujahr“. Siehe GB, Bd. 4, S. 130. Sie nannte die Tour gegenüber Clara Zetkin „Sachsengängerei“, ebenda, S. 132, und Luise Kautsky teilte sie am 7. Dezember 1911 mit: „Sechs Versammlungen habe ich schon hinter mir, noch sieben vor mir. Alle sind bombenvoll, und die Stimmung der Massen [ist] famos.“ Ebenda, S. 137. Ähnlich begeistert schrieb sie an Franz Mehring nach der neunten Versammlung, ebenda, S. 138. Bisher konnte nur die Rede in Leipzig am 1. Dezember 1911 veröffentlicht werden. Siehe GW, Bd. 3, S. 70 ff. Nunmehr veröffentlichen wir hier einen ebenso umfangreichen Vortrag in Halle (Saale) vom 3. Dezember 1911. Über ihr Auftreten an den weiteren Tagen erfolgten jedoch in der Presse keine Berichte. Angaben in behördlichen Akten waren nicht aufzufinden. Lediglich über das Tageblatt für den Amtsgerichtsbezirk Meuselwitz und die umliegenden Ortschaften ist über die Veranstaltung in Meuselwitz am 6. Dezember 1911 zu erfahren: „So viele Menschen hat wohl der Saal des Gasthofs ,Zur goldenen Weintraube‘ noch nicht zwischen seinen vier Wänden gesehen. Ja, er vermochte sie kaum zu fassen, denn nach der Einnahme pro Person 10 Pf., sollen es über 1000 gewesen sein. Man hatte ja auch – als Lockvogel könnte man wohl sagen – sich einer Parteigröße aus Berlin verschrieben. Wer hatte noch nichts von der berühmten Rosa Luxemburg gehört? Die mußte man doch mal sehen und hören. Man opferte also seinen Obulus und drängte sich ins Gedränge. Das kleine unscheinbare Persönchen sprach über zwei Stunden und schien auch davon nicht ermüdet, wirklich eine erstaunliche körperliche Leistung. Von der drohenden Kriegsgefahr dieses Sommers, der gegenwärtigen Teuerung und der Metallarbeiter-Aussperrung ausgehend, sprach sie über alles mögliche, über Steuern, Zölle, Liebesgaben, Ausbeutung, Militarismus, Kolonialpolitik, Massenstreik, dabei reichlich Zukunftsmusik machend.“ Siehe Nr. 286 vom 7. Dez. 1911. In der Altenburger Landeszeitung vom 7. Dezember 1911 steht geschrieben: „Meuselwitz, 6. Dezember. Die bekannte Sozialistin Rosa Luxemburg sprach hier in einer auch von bürgerlicher Seite sehr gut besuchten öffentlichen Versammlung. Mit dem Erfolg kann die nationale Bürgerschaft recht zufrieden sein. Was sie in zwei Stunden sagte, glauben die Genossen zum großen Teil selber nicht. Ihre Volkswehr reizt geradezu zum Lachen. In ihrem Zukunftsstaate hat jeder Wehrpflichtige sein Gewehr im Kleiderschranke oder hinter dem Ofen hängen. (!) Wenn der Krieg losgeht, ist Massenstreik und wer nicht mitstreikt, hat vielleicht keine brauchbare Flinte mehr. Pfarrer Naumann, der in Eisenberg gesagt hatte, die Teuerung käme von der erhöhten Goldgewinnung, wurde von der Rednerin verhöhnt, er solle an der Spitze der Kapitalisten nach Afrika gehen.“