Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 1055

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Zimmerwald, Kiental, Stockholm?

[1]

Über die Internationale Konferenz, die am 15. Mai in Stockholm zusammentreten soll, läßt sich immer noch nicht klar sehen. Nach einer Zeitungsnachricht soll ihr Zusammentritt sogar auf den 10. Juni verschoben worden sein. Bis diese Zeilen an die Öffentlichkeit gelangen, ist vermutlich Genaueres bekannt.[2] Wir verzichten deshalb darauf, uns in Mutmaßungen über die allgemeine Lage der Dinge zu ergehen, und beschränken uns auf die Erörterung zweier Tatsachen, die einstweilen für die deutsche Partei feststehen.

Zunächst hat sich die deutsche Regierung entschlossen, auch der Unabhängigen Sozialdemokratie Pässe nach Stockholm zu erteilen, um ihr die Teilnahme an der Konferenz zu ermöglichen. Ferner hat das Aktionskomitee, zusammen mit der deutschen Reichstagsfraktion und der preußischen Landtagsfraktion, wie die „Leipziger Volkszeitung“ mitteilt, bereits fünf solcher Delegierten gewählt, nämlich die Genossen Haase, Hoffmann, Bernstein und Kautsky, sowie die Genossin Zietz.

Was den Entschluß der Regierung anbetrifft, so ist er flehentlichen Bitten der Regierungssozialisten zu danken, die sich durch den Stempel reiner Regierungsagenten gebrandmarkt fühlten, der ihnen dadurch aufgedrückt worden war, daß ihnen zwar die Pässe nach Stockholm bewilligt, mehreren Mitgliedern der Unabhängigen Sozialdemokratie aber abgeschlagen worden waren. Die Regierungssozialisten wimmerten im Hauptausschuß des Reichstags so herzbrechend, daß die Regierung, um diese ihre getreue Gefolgschaft nicht allzu sehr zu kompromittieren, sich nach anfänglichem

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[1] Der Artikel ist mit ♂, einem von Rosa Luxemburgs Zeichen versehen, das sie auch für ihre Beiträge in der SAZ 1898 häufig verwendet hat. Siehe GW, Bd. 6, S. 129 ff. In der RL-Bibliographie von Feliks Tych, 1962 (Jadwiga Kaczanowska przy konsultacji i wspólprácy Feliksa Tycha: Bibliografia Pierwodruków Rózy Luksemburg. Nadbitka Z pola walki, kwartalnik Poswiecony Dziejom Ruchu Robotniczego, Warschau 1962 Nr. 3 [19]), ist der Artikel unter Nr. 655 ausgewiesen; ebenso in der Bibliographie von Narihiko Ito von 2002, S. 25 unter Nr. 58. Siehe weiter auch S. 995, Fußnote 1 und S. 999, Fußnote 1.

[2] Die Internationale Sozialistische Konferenz in Stockholm fand erst vom 5. bis 12. September 1917 statt. – In der Generalversammlung des Sozialdemokratischen Wahlvereins für den Kreis Teltow-Beeskow-Storkow-Charlottenburg am 18. Juni 1917 war u. a. zur Internationalen Sozialistischen Konferenz in Stockholm Stellung genommen und beschlossen worden, drei Delegierte zu entsenden. Als Delegierte wurden gewählt Rosa Luxemburg mit 61 Stimmen, Franz Mehring mit 57 und Käte Duncker mit 51. An der Konferenz konnte nur Käte Duncker teilnehmen. Rosa Luxemburg bestätigte Mathilde Jacob am 26. Juni 1917, daß sie diese Entscheidung gelesen habe, „aber was hab’ ich davon? Oder soll ich einen Urlaub beantragen?“ Siehe GB, Bd. 5, S. 265 und S. 978, Fußnote 16 zur Ablehnung des Reichskanzlers auf Anfrage von Otto Rühle im Deutschen Reichstag am 9. Juli 1917.