Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 917

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Der Kampf um den Stillen Ozean

[1]

Berlin, 19. Dezember 1914

Der Ferne Osten kündet sich immer wieder als Teilnehmer an dem gewaltigen Völkerringen an, das auf Europas Schlachtfeldern tobt. Das Neueste auf diesem Gebiete ist, daß Japan Frankreich den Vorschlag gemacht haben soll, zehn Armeekorps nach Europa zu schicken, falls Indochina an Japan abgetreten würde. Ein Gebiet von 525000 Quadratkilometern mit 30 Millionen Einwohnern soll der Preis dafür sein, daß Japan seine kampfgestählten Armeekorps auf die Waagschale des Weltkrieges wirft. Trotz dieses Preises ist das Angebot für Frankreich verlockend, – und doch erscheint es uns als ausgeschlossen, daß der japanische Vorschlag angenommen wird. Denn wenn sogar Frankreich darauf einginge, könnte England diesen Handel nicht zulassen, wenn es nicht in China und zum Teil auch in Indien zugunsten Japans abdanken will.

Die Besitznahme Indochinas würde Japan mit einem Schlage zum Alleinherrscher an der asiatischen Küste des Stillen Ozeans machen. Sie würde dem japanischen Inselvolke die Herrschaft über ganz China ausliefern – auch über Südchina, in dem jetzt England dominiert – und ihm die Tore nach Indien, der reichsten und wichtigsten englischen Kolonie, öffnen. Die weit ausschauende englische Politik hat schon frühzeitig die ihr von Japan drohende Gefahr erkannt und durch die starke Befestigung Singapurs, des großen Hafens an der Malakka-Straße, eine Sperre gegen den Osten errichtet.

Liegen hier aber erst die Keime späterer und schwererer Konflikte zwischen Japan und England, so ist der jetzt besonders zur Geltung kommende Ausbreitungsdrang

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[1] Der Beitrag ist nicht gezeichnet, aber sehr wahrscheinlich von Rosa Luxemburg verfaßt. Als Typoskript, ohne Angabe von Initialen und ohne Zuordnung zu einer SK, befindet er sich in Hoover Institution Archives, Rosa Luxemburg and Mathilde Jacob Papers, Stanford, Kalifornien/USA. Siehe S. 886, Fußnote 1. Inhaltlich entspricht er der Aufmerksamkeit, die Rosa Luxemburg den weltpolitischen Tendenzen im Kampf der kapitalistischen Mächte um den Stillen Ozean gewidmet hat. Siehe z. B. GW, Bd. 4, S. 36 ff., S. 81, S. 98 f. S. 156 ff. und die handschriftlichen Fragmente zur Geschichte der Internationalen, zur deutschen Sozialdemokratie, zu Krieg, Revolution und Nachkriegsperspektiven im vorliegenden Band, S. 1088 ff., bes. S. 1103 ff. Der Beitrag gehört vermutlich zu den letzten Lieferungen Rosa Luxemburgs für die SK an Mathilde Jacob. Franz Mehring schrieb an Mathilde Jacob am 13. Januar 1915: „Verehrtes Fräulein! Besten Dank für die Abzüge; meine Schuld erlaube ich mir, einliegend [?] zu berichtigen. Auch mir hat es sehr leid getan, daß unsere geschäftliche Verbindung, die mir nur die angenehmsten Eindrücke hinterlassen hat, aufhören muß. Aber die Korrespondenz, die sich erst so schön angemacht hatte [?], ist in den Schrecken dieses greulichen Krieges untergegangen. Vielleicht feiert sie einmal wieder ein Auferstehen, und dann treten wir wieder bei Ihnen an. Freundliche Grüße, auch von meiner Frau Ihr F. Mehring.“ Siehe Hoover Institution Archives, box 3, folder 22.