Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 951

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Friedensarbeit

[1]

Mit knapper Not scheint die Reichsdiplomatie um die scharfe Ecke eines ernsten Konflikts mit der nordamerikanischen Republik herumgesegelt zu sein. Die schwere Sorge einer neuen Erweiterung der furchtbaren Schrecken des Weltkriegs ist für einen Augenblick gewichen. Doch falsch wäre es, sich in beruhigte Stimmung zu wiegen.[2] Der Reichstag und die Reichsregierung haben die augenblickliche Gefahr des Konflikts mit der Formel über die Anwendung des „Völkerrechts“ auf den U-Bootkrieg beschworen. Aber was ist heute „Völkerrecht“? Was ist von diesem Begriff noch übriggeblieben, nachdem der Weltkrieg zwei Jahre lang mit Schwert und Feuer zu Lande, zu Wasser und in der Luft über alles hinwegstürmt, was als heiligste Pflicht der Menschlichkeit, ehrwürdigste Sitte der Kultur und verbrieftes internationales Vertragsrecht galt?

„Völkerrecht“ und Völkerschlachten vertragen sich überhaupt miteinander wie Feuer und Wasser. Als die Bourgeoisie als herrschende Klasse in Europa sich in den modernen Staaten häuslich einzurichten begann, suchte sie auch in dem ungeschlachten Wesen des mittelalterlichen Militarismus und des Krieges eine gewisse „Ordnung“ zu schaffen. Die Barbarei des Kriegsgemetzels mußte zivilisiert, auf die Greuel und

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[1] Der Artikel ist nicht gezeichnet. Nach Rosa Luxemburgs Briefen an Clara Zetkin vom 22., zwischen 22. und 27. und vom 27. Mai 1916 ist sie sehr wahrscheinlich die Autorin. Am 22. Mai versprach sie: „Auch den Leiter schreibe ich Dir noch von hier.“ Im nächsten Brief hieß es: „Anbei in Eile der Artikel für den Papierkorb des Zensors.“ Siehe GB, Bd. 5, S. 122 f.

[2] Gemeint ist der Konflikt mit den USA, seitdem von Deutschland aus ab Februar 1915 der U-Boot-Krieg schrittweise eröffnet wurde. Im Jahre 1915 hatten deutsche U-Boote insgesamt 640 feindliche und neutrale Schiffe versenkt, ein Sechstel davon warnungslos. Als bei der Versenkung des britischen Passagierdampfers „Lusitania“ am 7. Mai 1915 und der „Arabic“ am 19. August 1915 auch viele amerikanische Staatsbürger ums Leben kamen, hatte die drohende Haltung der USA die deutsche Regierung und die Oberste Heeresleitung bewogen, ab September 1915 den U-Boot-Krieg auf einen Handelskrieg nach Prisenordnung einzuschränken. Nachdem die deutsche Regierung Ende Februar 1916 die Anweisung gegeben hatte, bewaffnete feindliche Handelsschiffe warnungslos zu torpedieren und bei der Torpedierung des französischen Dampfers „Sussex“ am 24. März 1916 wiederum auch amerikanische Bürger umkamen, flammte der Konflikt mit den USA erneut auf. Die Regierung der USA ließ der deutschen Regierung am 20. April 1916 eine Note überreichen, in der sie forderte, den verschärften U-Boot-Krieg unverzüglich einzustellen. Bei Nichtbefolgung dieses Ultimatums drohte die USA-Regierung, die diplomatischen Beziehungen abzubrechen. Ende April 1916 verfügte der deutsche Admiralstab, U-Boote nur noch gegen Kriegsschiffe einzusetzen. Den uneingeschränkten U-Boot-Krieg kündigte die deutsche Regierung am 31. Januar 1917 ab 1. Februar an. Daraufhin brachen die USA am 3. Februar die diplomatischen Beziehungen zu Deutschland ab und erklärten am 6. April 1917 den Krieg.