Zur Geschichte des Maitages
[1]Zum dritten Male im Laufe des Weltkrieges kehrt der Weltfeiertag des internationalen Proletariats wieder. Geboren in der freudigen Begeisterung, womit sich 1889 auf dem Pariser Kongresse die zweite Internationale gebildet hatte, ist sein Leben zugleich das Leben der zweiten Internationale, und ganz besonders spiegelt sich in seiner geschichtlichen Entwicklung die geschichtliche Entwicklung der deutschen Sozialdemokratie wider.
Es ist wahr: Der internationale Kongreß in Paris hatte nicht ausdrücklich vorgeschrieben, daß der 1. Mai durch eine allgemeine Arbeitsruhe gefeiert werden solle. In seinem Beschluß vom 19. Juli bestimmte er, es sollte „für einen bestimmten Zeitpunkt eine große internationale Kundgebung organisiert werden und zwar dergestalt, daß gleichzeitig in allen Ländern und in allen Städten an einem bestimmten Tage die Arbeiter an die öffentlichen Gewalten die Forderung zu richten hätten, den Arbeitstag auf acht Stunden festzusetzen und die übrigen Beschlüsse des Internationalen Kongresses zur Ausführung zu bringen.“[2] Mit Rücksicht darauf, daß eine solche Kundgebung bereits von dem amerikanischen Arbeiterbund auf seinem im Dezember 1888 in St. Louis abgehaltenen Kongreß für den 1. Mai 1890 beschlossen war, wurde dieser Zeitpunkt als Tag der internationalen Kundgebung angenommen. Endlich wurde noch bestimmt, daß die Arbeiter der verschiedenen Nationen die Kundgebung in der Art und Weise, wie sie ihnen durch die Verhältnisse ihres Landes vorgeschrieben werde, ins Werk zu setzen hätten.
Allein als der 1. Mai 1890 herannahte, wurde dieser Beschluß von der deutschen Arbeiterklasse im Sinne einer allgemeinen Arbeitsruhe am 1. Mai aufgefaßt. Die deutschen Arbeiter befanden sich damals in der hoffnungsfrohesten und siegesgewissesten Stimmung. Sie hatten am 20. Februar 1890 einen gewaltigen Wahlsieg erfochten, ihren Bedränger Bismarck, den „Herkules des 19. Jahrhunderts“ gestürzt und tatsächlich das Sozialistengesetz zertrümmert, wenn es formell auch noch bis zum 30. September dieses Jahres fortlief.[3] Der junge Kaiser hatte durch die Februarerlasse eine
[1] Der Artikel ist mit ♂, einem von Rosa Luxemburgs Zeichen versehen, das sie auch für ihre Beiträge in der SAZ 1898 häufig verwendet hat. Siehe GW, Bd. 6, S. 129 ff. In der RL-Bibliographie von Feliks Tych, 1962 (Jadwiga Kaczanowska przy konsultacji i wspólprácy Feliksa Tycha: Bibliografia Pierwodruków Rózy Luksemburg. Nadbitka Z pola walki, kwartalnik Poswiecony Dziejom Ruchu Robotniczego, Warschau 1962 Nr. 3 [19]), ist der Artikel unter Nr. 651 ausgewiesen; ebenso in der Bibliographie von Narihiko Ito von 2002, S. 25 unter Nr. 50. Siehe auch S. 995, Fußnote 1.
[2] Siehe S. 573, Fußnote 9.
[3] Siehe S. 95, Fußnote 4.