Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 689

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Ein amüsantes Mißverständnis

Sehr geehrter Bürger,

in dem neuen „Socialisme“ Nr. 194 vom 2. September lese ich im Artikel „Die Sozialisten und der Krieg“ vom Bürger Compère-Morel die folgenden Zeilen: „Wir bestreiten zwar nicht die Tatsache, daß sich auf dem Mannheimer Parteitag die Mehrheit, die gewaltige Mehrheit hinter Bebel stellte und einen Antrag von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ablehnte, die in Deutschland eine ähnliche Kampagne wie Hervé in Frankreich führen: angelehnt an die These, die der Holländer Domela Nieuwenhuis 1893 auf dem Internationalen Kongreß in Zürich vertrat.[1] Der Antrag zielte auf die Gründung eines antimilitaristischen Sonderkomitees innerhalb der Sozialdemokratie.“

Die zitierte Stelle war vom Anfang bis zum Ende falsch.

Erstens habe ich nicht zusammen mit Karl Liebknecht auf dem Mannheimer Parteitag einen Antrag eingebracht, der eine antimilitaristische Kampagne forderte.

Es ist zwar wahr, daß Karl Liebknecht auf dem Mannheimer Parteitag einen antimilitaristischen Antrag gestellt und ein antimilitaristisches Sonderkomitee gefordert hat,[2] aber ich war daran nicht beteiligt. Darüber hinaus führen weder Karl Liebknecht noch ich und übrigens niemand in der deutschen Sozialdemokratie eine Kampagne wie Hervé in Frankreich, noch propagiert jemand die Thesen, die 1893 der Niederländer Domela Nieuwenhuis aufstellte. Im Gegenteil, die Wahrheit ist, daß in Deutschland die Ideen von Hervé und Nieuwenhuis von allen Genossen als anarchistische Verwirrungen abgelehnt werden. Meinerseits habe ich diese anarchistische Auffassung von Antimilitarismus und Massenstreik in einer Broschüre unter dem Titel: Massenstreik, Partei und Gewerkschaften sehr scharf kritisiert. Die Broschüre er-

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[1] Die überwältigende Mehrheit der Delegierten des Internationalen Arbeiterkongresses in Brüssel vom 16. bis 22. August 1891 hatte in der Debatte über die Stellung zum Militarismus Nieuwenhuis’ Antrag abgelehnt, jeden Krieg mit dem Generalstreik zu beantworten. Auch auf dem Internationalen Sozialistischen Arbeiterkongreß in Zürich vom 6. bis 12. August 1893 hatten Wilhelm Liebknecht, Eleanor Aveling und Georgi Plechanow Nieuwenhuis’ erneuten Antrag zurückgewiesen.

[2] Der von Karl Liebknecht eingebrachte Antrag 114 lautete: „Potsdam-Osthavelland: Eine besondere antimilitaristische Propaganda ist systematisch zu entfalten. Zu diesem Zwecke ist ein ständiger Ausschuß zu bilden.“ Dieser Antrag wurde vom Parteitag abgelehnt. Siehe Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu Mannheim vom 23. bis 29. September 1906, Berlin 1906, S. 129. – Siehe auch Karl Liebknecht: Gesammelte Reden und Schriften, Bd. 1, Berlin 1958, 2. Aufl. 1983, S. 198 ff.; Annelies Laschitza: Die Liebknechts, S. 106 ff.