Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 635

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Resolution gegen die Todesstrafe

Die polnische Delegation hat folgende Resolution eingebracht:[1]

„In Erwägung:

daß der moderne Klassenstaat gezwungen ist, alle Taten, die sein Grundprinzip bedrohen, zu bekämpfen und diese Taten stets bekämpft;

daß dieser Kampf in der heutigen Gesellschaftsordnung in den sogenannten ‚Strafen’, d. i. vermeintlich abschreckenden Maßregeln, seinen Ausdruck findet, und keine vorbeugenden Mittel oder Reformen vorgenommen werden, welche die bestehenden Verhältnisse umzugestalten suchen würden, und zwar aus dem Grunde, weil das soziale Interesse mit dem Interesse der besitzenden Klassen identifiziert wird und diesem Interesse jede radikale Vorbeugungsmaßregel und Reform direkt widersprechen würden;

in Erwägung ferner, daß der Stand der heutigen Kultur es jedoch den besitzenden Klassen erlauben würde, sogar zum Schutze ihrer Macht, mit gleichem Erfolg ein System von ‚Strafen‘ anzuwenden, welche mit den Ergebnissen der heutigen Wissenschaft mehr im Einklang wären;

daß das bisherige Bestehen vieler veralteter Bestimmungen des Strafrechtes ein Beweis von der Rückständigkeit der besitzenden Klassen ist; daß folglich auch auf dem Gebiete des Strafrechtes, ebenso wie auf anderen Gebieten des öffentlichen Lebens dem sozialistischen Proletariat die Aufgabe der Initiative zum Fortschritte zufällt;

daß unter den ganz veralteten ‚Strafen‘ die Todesstrafe als die brutalste und den modernen ethischen Empfindungen am meisten widersprechende angesehen werden muß,

daß die Unzweckmäßigkeit dieser ‚Strafe‘ am klarsten hervortritt, und zwar weil sie entweder bei sogenannten politischen Verbrechen angewendet wird – wobei sie einzelne Personen trifft, die nur den krassesten Ausdruck des Protestes breiter Volksmassen bedeuten –, oder bei Verbrechen, die im Zustande der momentanen Unzurechnungsfähigkeit begangen worden sind, oder schließlich bei ungewöhnlichen Verbrechen, die als Resultat einer physischen und moralischen Entartung der sie begehenden Verbrecher anzusehen sind;

in Erwägung ferner, daß in den modernen demokratischen Staaten die Anwendung der Todesstrafe jeden Bürger einigermaßen zum Mitschuldigen des legalen Mor-

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[1] Der Text der Resolution folgt dem deutschen Protokoll, S. 116–117. – Die polnische Delegation zum Internationalen Sozialistenkongreß in Kopenhagen umfaßte 24 Teilnehmer. Die Delegierten der SDKPiL Rosa Luxemburg, Irena Izwolska, Julian Marchlewski, Adolf Warski und Karl Radek hatten sich zu einer eigenen Sektion konstituiert.