Sozialdemokratie und Monarchie. Rede am 24. August 1910 in einer Volksversammlung in Pforzheim
[1]Nach einem Zeitungsbericht
Alsbald nahm die Referentin Dr. Rosa Luxemburg, von der Versammlung freundlich begrüßt, das Wort, um zu erklären, daß trotz des Offenburger Beschlusses man heute nicht nur über Sozialdemokratie und Monarchie, sondern auch über die alle Parteigenossen in ganz Deutschland und darüber hinaus berührende Frage der Budgetbewilligung zu sprechen habe.[2] Seit jeher sei es Gepflogenheit der Partei gewesen, ihre Angelegenheiten auf offenem Markte zu behandeln; darin liegt die Stärke der Partei.
[1] „Dr. Rosa Luxemburg kommt!“ hieß es in der Freien Presse, Nr. 195 vom 23. August 1910 am Vortage. „Welcher Mensch, sofern er sich um das politische Leben in Deutschland einigermaßen kümmert, gleichviel, ob er den bürgerlichen Parteien oder der Sozialdemokratie sich zuzählt, hätte nicht schon von der Genossin Rosa Luxemburg gehört oder gelesen? Den einen ist sie das blutdürstende Weib der Revolution, den andern die wissenschaftliche Vertreterin des proletarischen Klassenkampfes bis zur letzten Konsequenz. Wie man sich aber auch zu ihr stellen mag,“ jedenfalls werde jedermann gerne „diese unerschrockene Vorkämpferin der sozialistischen Bewegung“ kennen lernen und reden hören wollen. – Vermutlich ähnliche Reden hatte Rosa Luxemburg in der Zeit vom 21. bis 23. August 1910 in Offenburg vor mehr als 500 Personen, in Lahr vor über 500 und in Durlach vor etwa 800 Zuhörern gehalten.
[2] Am 14. Juli 1910 hatte die Mehrheit der sozialdemokratischen Landtagsfraktion in Baden dem Budget zugestimmt. Dazu entschied der Offenburger Parteitag am 20. und 21. August 1910 über folgende Resolutionen: Mit 136 gegen 36 Stimmen wurde die Resolution Sauer und Genossen angenommen: „Der Parteitag erkennt an, daß die sozialdemokratische Landtagsfraktion das von der Parteigenossenschaft Badens erhaltene Vertrauen in weitgehendstem Maße gerechtfertigt hat und spricht deshalb der Fraktion für ihre Tätigkeit im verflossenen Landtag uneingeschränkte Anerkennung aus. Insbesondere wird die Zustimmung zum Finanzgesetz gebilligt.“ Die Resolution Arnold-Mannheim und Genossen erhielt 145 Stimmen. Sie lautete: „Gegenüber der Aufforderung der preußischen und sächsischen Parteigenossen, die von den Mitgliedern der badischen Landtagsfraktion die Niederlegung ihrer Mandate verlangen, spricht der Parteitag die bestimmte Erwartung aus, daß sich keiner der in Frage kommenden Abgeordneten zu diesem Schritte drängen läßt. Der Parteitag erwartet vielmehr, daß die Genossen auf ihrem Posten ausharren und ihr Mandat, wie bisher, im Interesse der Partei ausüben.“ Mit 138 gegen 45 Stimmen wurde die Resolution Merkel-Mannheim abgelehnt, in der es u. a. hieß: „Der Parteitag erklärt, daß die Budgetzustimmung unserer Fraktion durch die Verhältnisse in Baden nicht genügend gerechtfertigt erscheint und gegen den Beschluß der Gesamtpartei verstößt. Der Parteitag bedauert die Abstimmung und verlangt, daß die Einheit der Aktion unter allen Umständen gewahrt bleibt. Der Parteitag hält die Hofgängerei einzelner Genossen für unvereinbar mit den Grundsätzen der Partei und erwartet, daß solche Entgleisungen in Zukunft vermieden werden.“ Mit 145 gegen 22 Stimmen wurde beschlossen: „Der Parteitag hält es für unangebracht, daß öffentliche Versammlungen innerparteiliche Fragen erörtern und fordert die Genossen auf, derartige Versammlungen, – die im Endeffekt nur dem Gegner dienen können – nicht einzuberufen.“ Siehe Volksfreund (Karlsruhe), Nr. 194 vom 22. August 1910.