Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 628

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Die Budgetangelegenheit werde im Mittelpunkt des Magdeburger Parteitages stehen.[1] Seit 16 Jahren müsse sich die Partei mit dieser Frage beschäftigen. Rednerin gab einen Rückblick über die verschiedenen diesbezüglichen Beschlüsse auf den deutschen Parteitagen und kam auch auf die internationalen Kongresse der Partei, speziell auf den Amsterdamer,[2] zu sprechen. Solchergestalt sei es nicht verwunderlich, daß man in der sozialdemokratischen Partei, speziell in Norddeutschland, wie vom Donner gerührt gewesen sei, als die Nachricht kam, daß in Baden die große Mehrheit der Landtagsfraktion das Budget einem bürgerlichen Ministerium genehmigt habe. Die Gründe, welche man in Baden dafür geltend mache, seien nicht ausreichend. Wenn Bodman eingesehen habe, daß die sozialdemokratische Partei eine ernste Kulturbewegung ist, so wisse dies jedes Kind. Die sozialdemokratischen Abgeordneten hätten die Anerkennung Bodmans mit Lächeln ablehnen müssen. Bismarck, der ein halbes Dutzend Bodmäner in die Westentasche stecken könne, habe öffentlich vor aller Welt zugestanden, daß ohne Sozialdemokratie es keine Sozialgesetzgebung gäbe. Auch Bülow habe so anerkennend sich über die Partei ausgesprochen. Die Erleuchtung der Fraktion sei über Nacht gekommen ob der „goldenen Worte“ Bodmans. Nach und nach sehe man ein, daß das Verhalten der Fraktion darauf hinauslaufe, das Großblockabkommen[3] weiter zu pflegen. Es sei aber nicht Aufgabe der Sozialdemokratie, die reaktionäre Haltung der Nationalliberalen künstlich zu verdecken, sondern sie dem Volke zu zeigen. Man mache ihr den Vorwurf, sie beurteile die Nationalliberalen nach dem Vorbild im Norden, in Baden seien sie nicht besser. Das beweise der Umstand, daß die Linksliberalen sich absplittern und eine eigene Partei gründen. Kolb verteidige sein parlamentarisches Kunststück des Großblocks mit dem Kampf gegen das Zentrum. Die Nationalliberalen seien nicht besser als sie, da gelte das Heinesche Wort vom Rabbi und Mönch.[4] Es gelte die Aufklärung hierüber in die Massen des Volkes zu tragen. Das Zentrum habe sich seither als verfolgte Unschuld aufspielen können. Im Reichstag zeige es sich in seiner ganzen Nacktheit als Regierungspartei. Das erleichtere den Kampf gegen dasselbe. Das Verhalten der sozialdemokratischen Fraktion in Baden habe nun wohl das Zentrum ausgeschaltet, aber nun könne das

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[1] Der Parteitag der deutschen Sozialdemokratie in Magdeburg war zum 18. bis 24. September 1910 einberufen. Eine mehrheitliche Verurteilung des Disziplinbruches und des prinzipienlosen Verhaltens der badischen Budgetbewilliger galt als sicher.

[2] Der Amsterdamer Internationale Sozialistenkongreß fand vom 14. bis 20. August 1904 statt. Er hatte einstimmig für jedes Land als unerläßlich für den Kampf gegen den Kapitalismus die „Einheitlichkeit der Partei auf Grund der von den internationalen Kongressen bestimmten Prinzipien“ gefordert.

[3] Gemeint ist das in Baden seit 1905 bestehende Großblockbündnis zwischen Nationalliberalen und Sozialdemokraten, das gegen die unterlegene konservativ-klerikale Koalition von den Budgetbewilligern verteidigt wurde.

[4] Siehe Heinrich Heine: Romanzero. Am Ende von Disputation heißt es:

„Welcher Recht hat, weiß ich nicht – / Doch es will mich schier bedünken, / Daß der Rabbi und der Mönch, / Daß sie alle beide stinken.“ Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Hrsg. von Hans Kaufmann, Bd. 2, Berlin und Weimar 1980, S. 178.