Antrag gegen die Kolonialpolitik
[1]Das I.S.B. fordert desgleichen die sozialistischen Parteien auf, eine Protestbewegung hervorzurufen gegen jede Erweiterung der Kolonialbesitzungen der europäischen Staaten auf dem Wege des diplomatischen Schachers, der gegenwärtig hinter dem Rücken der Nationen und ihrer Volksvertretungen am Werke ist, dadurch[2] neue Zuspitzungen der internationalen Gegensätze und neue Kriegsursachen für die Zukunft zu schaffen.[3]
Vorwärts (Berlin),
Nr. 225 vom 26. September 1911.
Wiederveröffentlicht durch Jürgen Rojahn nach dem handschriftlichen Original, das sich im Nachlaß Troelstra im IISG, Amsterdam, befindet. Siehe Jürgen Rojahn: Um die Erneuerung der Internationale: Rosa Luxemburg contra Pieter Jelles Troelstra. Zur Haltung der radikalen Linken in Deutschland nach dem 4. August 1914. In: International review of social history, Volume XXX – 1985 – part 1, S. 14.
[1] Überschrift der Redaktion. – Auf der Tagung des ISB am 23. September 1911 in Zürich wurde nach mehrstündiger Debatte über die Marokkofrage eine längere Resolution gegen Kriegsgefahr und Kolonialpolitik einstimmig angenommen, in der Rosa Luxemburgs Antrag volle Berücksichtigung fand.
[2] In der handschriftlichen Fassung im IISG, Amsterdam, steht statt dadurch: um.
[3] In der Resolution der ISB-Sitzung am 23. September 1911 in Zürich heißt es u. a.: „Der von dem kapitalistischen Länderhunger in frivolster Weise wegen Marokko heraufbeschworene Kolonialkonflikt hat durch Monate die größten Kulturländer vor die Gefahr eines brudermörderischen Krieges mit all seinen entsetzlichen Folgen gestellt. Wenn diese Gefahr augenblicklich vermindert ist, so ist sie keineswegs beseitigt und erscheint dauernd als der chronische Zustand der kapitalistischen Gesellschaft, die täglich durch neue Zwischenfälle akut werden kann. Das organisierte Proletariat will aber keinen Krieg und wird sich stets mit aller Wucht für den Frieden einsetzen. […]
Das ISB ruft allen nationalen Sektionen der Internationale, namentlich denen in denjenigen Ländern, die im Augenblick unmittelbar an dem Marokko- und andern drohenden Kolonialkonflikten beteiligt sind: Deutschland, England, Frankreich, Italien, Türkei und Spanien, die Resolutionen ihrer Landeskongresse und der internationalen Kongresse von Stuttgart und von Kopenhagen gegen den Krieg ins Gedächtnis und erinnert insbesondere an den Schlußsatz der Stuttgarter Resolution, welcher lautet: ‚Falls der Krieg dennoch ausbrechen sollte, ist es die Pflicht der Arbeiterklasse und ihrer parlamentarischen Vertretungen, für dessen rasche Beendigung einzutreten und mit allen Kräften dahin zu streben, die durch den Krieg herbeigeführte wirtschaftliche und politische Krise zur Aufrüttelung des Volkes auszunutzen und dadurch die Beseitigung der kapitalistischen Klassenherrschaft zu beschleunigen.‘ […]
Das ISB fordert desgleichen die sozialistischen Parteien auf, eine Protestbewegung hervorzurufen gegen jede Erweiterung der Kolonialbesitzungen der europäischen Staaten auf dem Wege des diplomatischen Schachers, der gegenwärtig hinter dem Rücken der Nationen und ihrer Volksvertretungen am Werke ist, dadurch neue Zuspitzungen der internationalen Gegensätze und neue Kriegsursachen für die Zukunft zu schaffen.
Das ISB beschließt auch weiterhin, die Initiative zu internationalen Kundgebungen gegen den Krieg im Einvernehmen mit den sozialistischen Parteien zu ergreifen und die Bewegung gegen den Krieg mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln zu fördern.“ Siehe Internationales Sozialistischen Bureau. In: Leipziger Volkszeitung, Nr. 223 vom 26. September 1911.
Der Kommentar der Redaktion der Leipziger Volkszeitung zum Bericht über die ISB-Sitzung unterstreicht: Die Resolution des ISB zur Marokkofrage ist eine „äußerst glückliche Ergänzung der Jenaer Resolution, die um so wertvoller ist, als ja der Jenaer Parteitag ausdrücklich jede Erweiterung dieser Resolution abgelehnt hat. Hierzu rechnen wir besonders die erneute Betonung des Schlußsatzes der Stuttgarter Resolution, in der die Pflichten des Proletariats im Falle eines Kriegs betont werden, sowie die Aufforderung, gegen jede, auch auf ‚friedlichem Wege‘ zustande gekommene Erweiterung der Kolonialbesitzungen zu protestieren. Besonders der letzte Punkt war es, der in den Amendements der Genossin Luxemburg zur Resolution Bebels in Jena zum Ausdruck kam, und den der Parteitag gegen eine erhebliche Minorität auf Vorschlag Bebels und Davids ablehnte. In dieser Hinsicht bedeutet also die Resolution des ISB ein um so wirkungsvolleres Nachwort zum Jenaer Parteitag.“ Ebenda.