Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 996

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würde er dafür stimmen, denn die Regierung trage die Verantwortung, und so könne er seine Hände in Unschuld waschen.[1]

Die Mitwelt hat den Herrn Professor – trotz all seiner wissenschaftlichen Verdienste – weidlich ausgelacht. Aber niemand hat vor dreißig Jahren in seinem erhebenden Bekenntnis etwas anderes gesehen, als die Schrulle eines gelehrten Kopfes; niemand hat angenommen, daß je eine Partei sich auf gleichen Pfaden betreffen lassen oder gar, daß es gerade die Partei sein würde, der Mommsen den Strick um den Hals winden[2] wollte. Und dennoch hat er gelehrige Schüler gefunden in den Scheidemann und Genossen.

Mit einem Unterschiede allerdings, der jedoch die Sache nicht schöner und am wenigsten ehrlicher macht. Mommsen machte immerhin aus seinem Herzen keine Mördergrube; er sagte offen und bewies es klipp und klar, mit der Verlängerung des Sozialistengesetzes werde es schief gehen, während die um Scheidemann und Stampfer sagen: Kann sein, kann auch nicht sein.[3] Geht die Sache gut, dann haben wir wahr gemacht, was wir immer gesagt haben, und haben das Vaterland aus schwerer Not gerettet; geht die Sache schief, so tragen wir keine Verantwortung und waschen unsere Hände in Unschuld, denn die Regierung allein hat den Karren verfahren.

Eins freilich kann man diesen famosen Politikern zugeben. Wenn sie bestreiten, eine Regierungspartei zu sein, so haben sie insofern recht, als sie noch unter einer Regierungspartei stehen. Eine ehrliche Regierungspartei geht mit der Regierung durch Dick und Dünn, auf Gewinn und Verlust. Dagegen tun der Rumpfparteivorstand und die Mehrheit der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion zwar alles, was die Regierung will, aber teilen wollen sie nur den Gewinn; für den Fall des Verlustes behalten sie sich vor, das scheiternde Schiff wie die Ratten zu verlassen.

Nach diesen Gesichtspunkten ist die ganze Politik des 4. August[4] visiert, und als schützenden Deckmantel benützt sie – was sich an einer sozusagen sozialdemokratischen Partei auch sehr schön ausnimmt – die Ohnmacht des Deutschen Reichstags.

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[1] 1884 hob Mommsen in einer Zuschrift an ein Coburger Blatt hervor: „Über die Schwere der Gefahr, welche unserer ganzen Zivilisation in der sozialistischen Bewegung droht, täuscht sich niemand, dem das Vaterland wirklich das Höchste und Letzte ist; mit allen anderen Parteien kann man sich vertragen und unter Umständen paktieren, mit dieser nicht.“ Er war wegen des Volkszorns gegen das Gesetz für einen Übergangszustand, der zur Aufhebung des Gesetzes führen solle. Von der Regierung vor die Wahl gestellt, würde er trotz alledem für die Verlängerung des Gesetzes als das kleinere Übel stimmen. Nur wenn die Abstimmung über das Sozialistengesetz freigegeben würde, schlösse er sich von der Fusion der zwei linksliberalen Parteien nicht aus, für die er großes Mißtrauen hege. Als ihm sein Verhalten zum Vorwurf gemacht wurde, zog er sich von der offiziellen Politik zurück. Siehe (Berliner) Volkszeitung, Nr. 98 vom 16. April 1884; – Ludo Moritz Hartmann: Theodor Mommsen. Eine biographische Skizze. Mit einem Anhange: Ausgewählte politische Aufsätze Mommsens, Gotha 1908, S. 124 f.

[2] In der Quelle: werden.

[3] Siehe Sozialdemokratie und Regierung. In: Vorwärts (Berlin), Nr. 351 vom 22. Dezember 1916; Friedrich Stampfer: Das Friedensjahr 1917. In: ebenda, Nr. 358 vom 31. Dezember 1916; Philipp Scheidemann: Sozialistische Friedensarbeit. In: ebenda.

[4] Siehe S. 992, Fußnote 3.