Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 751

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-7-2/seite/751

daß sie als Vorhut einer Armee zu betrachten ist, deren Kampfbereitschaft mit jedem Tage wächst. Und wenn auch die liberalen Helden aus dem Dumapräsidium in ihrer Lakaienhaft der Regierung gegenüber unsere Genossen für ihr mutiges und rücksichtsloses Auftreten sehr oft mit Wortentziehung oder der Entfernung aus einer Reihe von Sitzungen strafen, so wagt doch die Mehrheit nicht mehr, sie in der kannibalischen Art niederzubrüllen, wie es in der dritten Duma der Fall war. Auch taktisch hat das Auftreten der Fraktion sehr viel an Sicherheit gewonnen. In der dritten Duma mußte sich die Art des Auftretens erst tastend ausbilden. In den ersten zwei Dumas[1], die von den Wogen der Revolution umbrandet waren, waren die Aufgaben der sozialdemokratischen Fraktion viel leichter. Die dritte Duma leitete die Übergangszeit ein, in der die Sozialdemokratie zwar im Hinblick auf die dank der sich verschärfenden Verhältnissen zu erwartende Revolution wirkt, aber nicht aus den Augen lassen kann, daß diese sich noch unter dem Horizonte verbirgt, daß es nötig ist, auf dem Boden auch der jetzigen Verhältnisse Schritt für Schritt vorzudringen zu suchen. Weder bildet die zukünftige Revolution eine wirkliche Basis des Handelns, noch ist ihre Möglichkeit ausgeschlossen, weil doch das jetzige Regime sich zur Befriedigung auch der primitivsten bürgerlichen Verhältnisse bisher unfähig zeigte. In dieser schwankenden Zeit einen festen politischen Kurs zu nehmen, ist an und für sich keine leichte Aufgabe. Dennoch hat die Fraktion der dritten Duma diese Aufgabe bewältigt, ohne daß feste Arbeiterorganisationen einen solchen Kurs anzeigten, wie er sich durch den Kampf verschiedener Tendenzen, die sich in ihnen auf Grund objektiver Gegensätze bilden, ausarbeitet. Und obgleich mit Ausnahme ihres Führers, des Genossen Tschcheidse, alle anderen Mitglieder der sozialdemokratischen Fraktion der dritten Duma dank dem reaktionären Wahlgesetz und den Machenschaften der Regierung nicht in die vierte Duma hineinkamen, macht sich die neue Fraktion die Erfahrungen ihrer Vorgängerin zunutze und leitet den parlamentarischen Kampf in der Weise, daß im großen Ganzen alle Richtungen in der von Richtungen so reichen Sozialdemokratie Rußlands mit ihrer Arbeit zufrieden sein können.

Sie beweist dem Proletariat an der Hand des reichhaltigen Materials, das das russische Leben liefert, die Unfähigkeit der Konterrevolution zur Lösung der „verfluchten Fragen“ Rußlands, die Notwendigkeit des revolutionären Massenkampfes um die Demokratie und den Sozialismus, aber sie vertröstet das Proletariat nicht auf die kommende Revolution, sondern ruft es zum Kampfe um jede seiner Lebensnotwendigkeiten schon heute, und gibt ihnen die Form parlamentarischer Forderungen der Pressefreiheit, des Koalitionsgesetzes, der Wahlreform usw. Selbst dort, wo sie durch ihre Abstimmung den Anstoß zu einer Reform geben kann, die, wenn sie nicht durch den Staatsrat und die Regierung annulliert wird, doch durch die zaristische Regierung durchgeführt werden müßte, stimmt die

Nächste Seite »



[1] Zur ersten und zweiten Duma siehe u. a. GW, Bd. 6, S. 570 ff. und 601 ff. sowie Rosa Luxemburg. Arbeiterrevolution 1905/06, S. 123 ff. und S. 133 ff.