Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 1021

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fahr jenes Generals York, der, als vor hundertundzehn Jahren eine junkerliche Intrige – den in gewissem Sinne reformfreundlichen – Minister Stein gestürzt hatte, in den Jubelschrei ausbrach: „Ein unsinniger Kopf ist schon zertreten; das andere Natterngeschmeiß wird sich in seinem eigenen Gift auflösen.“[1]

Man muß sich nicht einbilden, daß die ostelbischen Junker von den „Wehen einer großen Zeit“ irgendwie berührt wären. Sie sind immer dieselben, „ob trüber Tag, ob heller Sonnenschein“, wie es in dem Preußenliede heißt.[2] Die schwersten Krisen des Gemeinwesens, worin sie leben, berühren sie gar nicht. Als der preußische Staat nach der Schlacht bei Jena und Auerstedt[3] durch den Frieden von Tilsit[4] zertrümmert worden war, und in seinem kümmerlichen Rest die Erbuntertänigkeit der Bauern durch das sogenannte Oktoberedikt von 1807[5] aufgehoben wurde – eine Reform, die, durch den bittersten Zwang hervorgerufen, durch die Art ihrer Ausführung die Bauern aus

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[1] In einem Brief Yorks von Wartenburg von 1808 hieß es: „Der Mann ist zu unserem Unglück in England gewesen und hat von dort seine Staatsweisheit hergeholt; und nun sollten die in Jahrhunderten begründeten Institutionen des auf Seemacht, Handel und Fabrikwesen beruhenden reichen Großbritanniens unserm armen, ackerbautreibenden Preußen angewöhnt werden.“ Siehe Joh. Gust Droysen: Das Leben des Feldmarschalls Grafen York von Wartenburg, Erster Band. Mit dem Bildnisse Yorks. Zweite unveränderte Auflage, Berlin 1951, S. 210 f. – „Ein eigensinniger Kopf ist schon zertreten; das andere Natterngeschmeiß wird sich in seinem eigenen Gifte selbst auflösen“, zitiert Franz Mehring aus einem Brief vom 26. November 1808 über Stein. Am 13. November 1808 hatte Napoleon aus seinem kaiserlichen Lager in Madrid folgendes Dekret erlassen: „Der p. p. Stein, der Unruhen in Deutschland zu erregen sucht, wird für einen Feind Frankreichs und des Rheinbundes erklärt. Die Güter, die besagter Stein, sei es in Frankreich, sei es in den Ländereien des Rheinbundes, besitzen sollte, werden mit Beschlag gelegt. Persönlich wird besagter Stein überall, wo er von unseren oder unserer Verbündeten Truppen erreicht werden kann, verhaftet.“ Franz Mehring: Gesammelte Schriften, Bd. 6: Zur deutschen Geschichte von der Zeit der Französischen Revolution bis zum Vormärz (1789–1847), Berlin 1965, S. 210.

[2] „Sei’s trüber Tag, sei’s heitrer Sonnenschein, Ich bin ein Preuße, will ein Preuße sein!“ Diese letzten Zeilen aus der 1. Strophe aus dem Preußenlied, dessen Melodie von August Neithardt (1832) stammt und dessen Text der Strophen 1–6 von Johann Bernhard Thiersch, richtete sich indirekt gegen eine Verfassung und forderte auf, das Königtum als von Gottes Gnaden anzuerkennen.

[3] In der Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt wurden am 14. Oktober 1806 die zwei Hauptarmeen des preußischen Staates unmittelbar nach Beginn des Feldzuges von den Truppen Napoleons I. geschlagen.

[4] Im Frieden von Tilsit verständigten sich Frankreich und Rußland über Preußen als Verhandlungsobjekt. Preußen muß den Verlust aller westelbischen Gebiete einschließlich Magdeburgs und der annektierten Gebiete aus der zweiten und dritten Teilung Polens hinnehmen und verliert mehr als die Hälfte seines Territoriums. Der Abzug der französischen Truppen wird von Kontributionszahlungen in Höhe von 140 Mill. Fr. abhängig gemacht. Die Festungen Stettin, Küstrin und Glogau bleiben in französischer Hand, das preußische Heer wird auf 42000 Mann begrenzt.

[5] Die am 9. Oktober 1807 herausgegebene und am 11. November 1810 in Kraft getretene Verordnung verfügte die Aufhebung der Erbuntertänigkeit und der Schollengebundenheit, des Zwangsgesindedienstes und der gutsherrlichen Genehmigungspflicht bei Heirat eines Feudalabhängigen. Die damit begonnenen preußischen Agrarreformen wurden von Karl Reichsfreiherr von und zum Stein eingeleitet. Zugleich wurde mit der Aufhebung der ständischen Berufsschranken der freie Kauf und Verkauf von Grundstücken gestattet.