Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 1022

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dem Regen unter die Traufe brachte –, da rief ein Führer der damaligen Junker: „Lieber drei Niederlagen bei Auerstedt als ein Oktoberedikt!“ Das ist derselbe Geist, der heute aus den Reden der Schorlemer und York spricht.

Sollen wir darüber jammern und schelten? Sicherlich nicht, wenn anders auch für die Politik das weise Wort Spinozas gilt: Man muß die Dinge nicht bejubeln und nicht beklagen, sondern man muß sie verstehen. Wären die Junker durch schöne Reden zu stürzen, so wären sie freilich schon längst in einem bodenlosen Abgrund verschwunden. Auf solche Reden geben die Junker so viel wie auf den Wind, der durch den Schornstein fährt, und das ist ihnen bisher auch recht gut bekommen.

Auf die „glänzende“ Rede, womit Scheidemann neulich im Reichstage den preußischen Landwirtschaftsminister angriff,[1] antwortete dieser kaltblütig: „Hier sitz’ ich und hier bleib’ ich.“ Das ist immer so gewesen. Der alte Ziegler sprach noch viel „glänzender“ als Scheidemann, indem er einmal dem damaligen Kultusminister zurief: „Herr v. Mühler muß fort von seinem Platze.“[2] Ziegler war einige Wochen lang der gefeiertste Mann im Lande und wurde mit Zustimmungsadressen überschüttet, aber Herr v. Mühler blieb kalt lächelnd auf seinem Platze. Immerhin gewann Ziegler nunmehr die richtige Einsicht und sagte zu Bebel, wie dieser in seinen Denkwürdigkeiten berichtet: „Hören Sie, wir sind allesamt Sch… bekommen Sie die Gewalt in die Hand, so hängen Sie uns samt und sonders an die Laterne!“[3] So hat Scheidemann allerdings noch nicht gesprochen, sei es aus Mangel an Einsicht, sei es, weil er die zusagende Antwort fürchtet, die Ziegler von Bebel erhielt.

Es gab und gibt nur ein Mittel, die Macht des Junkertums zu brechen, und dieses Mittel war und ist eine mächtige Arbeiterpartei, die ihm an kaltblütiger und unbeirrbarer Entschlossenheit gewachsen, aber in der Höhe der menschlichen Kultur und in der Weite des geschichtlichen Blicks unendlich überlegen ist. Es war nicht von ungefähr, daß der ostelbische Großgrundbesitz zwar, solange er die moderne Arbeiterbewegung für einen häuslichen Zwist zwischen Bourgeoisie und Proletariat hielt, mit ihr zu spielen versuchte, aber als er sich dabei die Finger verbrannt hatte, sie viel grimmiger noch haßte und härter verfolgte, als es die Bourgeoisie tat. Der untrügliche Instinkt, den jeder Machthaber besitzt, sagte ihm, daß es sich hier um Sein oder Nichtsein handele.

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[1] Gemeint ist die Rede Philipp Scheidemanns am 27. Februar 1917 im Deutschen Reichstag zum Reichsetat, in der er erklärte: „Einen kleinen D-Zug möchte ich allerdings für alle Fälle und zu jeder Minute bereit stehen haben zur Abfahrt, nämlich einen Zug, von dem ich wünsche, daß er recht bald und dauernd den preußischen Landwirtschaftsminister uns entführt.“ Siehe Verhandlungen des Reichstags. XIII. Legislaturperiode. II. Session. Stenographische Berichte, Band 309, Berlin 1917, S. 2391.

[2] Gemeint ist das Mitglied der Fortschrittspartei Franz Ziegler, zitiert nach: August Bebel: Ausgewählte Reden und Schriften, Band 6, Bearb. von Ursula Herrmann unter Mitarbeit von Wilfried Henze und Ruth Rüdiger, München/New Providence/London/Paris 1995, S. 343.

[3] Zitiert nach ebenda, S. 354.