Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 828

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Selbstmord begangen habe. (Bewegung.) So werden die deutschen Vaterlandsverteidiger für den höchsten Dienst vorbereitet, den sie dem Vaterland leisten sollen. Nur indem die Herrschenden das Beste niedertreten, was den Mann macht, erst indem sie es jahrelang systematisch mit Füßen getreten, um aus dem Mann ein Tier zu machen, erst dann ist der Mann fertig, um das Vaterland und seine Ehre zu retten. Wenn Erlasse gegen Mißhandlungen einen Wert haben, so ist es der, daß durch sie offiziell die Mißhandlungen bestätigt werden. – Jahrzehntelang hat im Reichstag besonders Bebel gegen die Soldatenmißhandlungen gekämpft. Bebel sagte am 10. März 1893 im Reichstag: „Eins steht für mich aber weiter fest. Dinge, wie sie in unserer Armee nahezu zu den täglichen Gewohnheiten gehören, Mißhandlungen, wie wir sie heute wieder in so reichem Maße gehört haben, sind in der französischen Armee einfach undenkbar. Und meine Herren, wissen Sie, was in der holländischen Kolonialarmee Vorschrift ist? Wenn ein Unteroffizier sich herausnimmt, Soldaten so zu mißhandeln, wie es bei uns vorgekommen ist, so darf der gemeine Mann seinen Unteroffizier zu Boden schlagen, ohne daß ihn die geringste Strafe dafür trifft. … Ich glaube, eine solche Methode wäre auch in Deutschland das geeignetste Mittel, die Soldatenmißhandlungen ein- für allemal aus der Welt zu schaffen. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.)“[1] (Lebhafte Zustimmung.)

Der Staatsanwalt hat noch mehr so goldene Lehren ausgesprochen, die wir uns zunutze machen können. Er hat gesagt: „Man lasse nur ein bis zwei Dutzend derartig verhetzter entschlossener Leute“ – er meinte sozialdemokratische, aufgeklärte Leute – „in einer Kompanie sein, so würde es diesen Leuten ein Leichtes sein, ein bis zwei Dutzend anderer Leute auf ihre Seite zu bekommen, das würde vollkommen genügen, um plötzlich eine Meuterei hervorzubringen. … Was die Angeklagte getan hat, ist ein Attentat auf den Lebensnerv des Staates.“ Damit hat der Staatsanwalt den heutigen Militarismus wie noch niemand der Lächerlichkeit preisgegeben. Der eherne Koloß, der nach einem Worte Bismarcks nichts in der Welt fürchtet als Gott, zittert vor einer Meuterei von zwölf Soldaten. Die innere Schwäche des Militarismus ist noch nie so enthüllt worden, wie durch den Frankfurter Staatsanwalt. Wir gehen aber nicht darauf aus, zwölf Soldaten zu einer Meuterei aufzustacheln, sondern wir rufen die gesamte Menschheit gegen die Klassenherrschaft auf. Wir sind nicht der Auffassung, daß es nur vom Soldaten abhängt, ob Kriege geführt werden können, sondern darüber hat das ganze Volk zu entscheiden. Sind es doch die Millionen Männer und Frauen der arbeitenden Klasse, die ihre Söhne auf den Altar des Kriegsgottes schicken müssen. Wir erwarten von der Aufklärung des Volkes, daß der Militarismus unmöglich wird und verlassen uns ruhig darauf, daß die Brust des deutschen Arbeiters, die mit den Gefühlen der Völkersolidarität erfüllt ist, die Gebote der Menschlichkeit nicht

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[1] Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags. VIII. Legislaturperiode. II. Session 1892/93. Dritter Band, Berlin 1893, S. 1569.