Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 827

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nes. Hat je ein offizieller Vertreter des Staates seine Raubtiernatur mehr vor aller Welt enthüllt, als dieser Staatsanwalt in seiner heiligen Einfalt in Frankfurt?

Wenn in Deutschland jemand das Recht hat, das Wort vom Vaterland und Vaterlandsliebe in den Mund zu nehmen, so sind es wir Sozialdemokraten. (Lebhafter Beifall.) Das Vaterland ist nichts anderes als die große Masse des Volkes, von deren Hände Arbeit der ganze gesellschaftliche Bau erhalten wird, das Vaterland ist nichts anderes als der soziale Aufstieg der Massen. Auch wenn es sich um die Verteidigung des Vaterlandes handelt, können wir Sozialdemokraten mit erhobener Stirn der Welt ins Auge blicken. Das habe ich in Frankfurt dem Staatsanwalt und den Herren Richtern beizubringen versucht,[1] allerdings vergebens.

Wenn es sich um nichts anderes handeln sollte, als um die Verteidigung des Vaterlandes, so brauchten wir das heutige Militärsystem nicht, so brauchten wir die zwei- bis dreijährige Dienstzeit gar nicht, so brauchten wir nicht den Kadavergehorsam der Soldaten und die furchtbaren Soldatenmißhandlungen.[2] Wollte man wirklich das Vaterland verteidigen, so brauchte man nur die Programmforderung der Sozialdemokratie[3] durchführen, man brauchte nur das ganze Volk zu bewaffnen, daß jeder freie Mann sich von selbst erhebt, wenn das Vaterland in Gefahr ist. Erst wenn das Volk von selbst entscheiden kann, gegen wen und wann es ins Feld rückt, kann es heißen: Lieb Vaterland magst ruhig sein. (Lebhafte Zustimmung.) Gerade diejenigen, die fortgesetzt das Wort von der Verteidigung des Vaterlandes im Munde führen, sie wollen nichts hören von der Miliz. Die Herren oben wissen sehr gut, was sie meinen, wenn sie vom Vaterland sprechen, sie wissen sehr gut, daß die Miliz ein friedliches Instrument ist, das zu Eroberungskriegen, zu Kolonialkriegen, zu imperialistischen Raubzügen, die Elend und Sklaverei verbreiten, nichts taugt. Sie brauchen einen blinden Soldaten, der auf Geheiß der Obrigkeit bereit ist, auf Vater und Mutter zu schießen. Nur dann ist das Vaterland gesichert, um das es sich bei den Herren von oben handelt. Man sagt uns, die Ehre des deutschen Vaterlandes verlangt es, daß ein Sozialdemokrat, der gegen den heutigen Militarismus agitiert, ins Gefängnis wandert. Die Ehre des Vaterlandes verlangt es wohl auch, daß, wie in Magdeburg geschehen, ein Soldat seine Nase in den Spucknapf steckt. (Pfuirufe.) Erinnern wir uns an den andern Fall in Neiße, wo zwei Soldaten sich gegen Mißhandlungen ihres Vorgesetzten wehrten. Denken wir an den Fall in Metz, wo ein Soldat aufgehängt in der Schlinge aufgefunden wurde. Was da passiert ist, ist bis auf den heutigen Tag nicht bekannt geworden, die Obrigkeit behauptet, der Soldat habe sich selbst entleibt, aber der Vater des Gestorbenen glaubt annehmen zu dürfen, daß sein Sohn vorher bereits durch Mißhandlungen getötet wurde und erst die Leiche in die Schlinge gesteckt wurde, damit es so aussieht, als ob er

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[1] Siehe Rosa Luxemburg: Verteidigungsrede am 20. Februar 1914 vor der Frankfurter Strafkammer. In: GW, Bd. 3, S. 395 ff.

[2] Rosa Luxemburg: Siehe Notizen zur Prozeßvorbereitung über Soldatenmißhandlungen. In: GW, Bd. 7/2, S. 853 ff.

[3] Gemeint ist die Forderung im Programm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, das vom Erfurter Parteitag 1891 angenommen worden ist, die lautet: „Erziehung zur allgemeinen Wehrhaftigkeit. Volkswehr an Stelle der stehenden Heere. Entscheidung über Krieg und Frieden durch die Volksvertretung. Schlichtung aller internationalen Streitigkeiten auf schiedsgerichtlichem Wege.“ Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu Erfurt vom 14. bis 20. Oktober 1891, Berlin 1891, S. 4.