bauen englische Kolonien: Australien, Kanada, Neuseeland, neue Schlachtschiffe zu keinem anderen Zweck, als die Flotte des Mutterlandes zu verstärken. Und sehen wir uns in Deutschland um, das für Rüstungszwecke vom Volke Opfer über Opfer fordert.
Gleichzeitig mit diesem Drängen nach immer neuen Rüstungen geht eine höchst beachtenswerte Erscheinung Hand in Hand. Die Parlamente sehen sich gegenüber den Rüstungsforderungen zur Ohnmacht verurteilt. So in England, dem Musterlande des demokratischen Parlamentarismus. Rußland hat in Beantwortung der deutschen Rüstung eine neue Militärvorlage, die eine Verlängerung der Dienstzeit bringt. Auch die Kleinstaaten Europas, Norwegen, Schweden, Belgien, sind in den Strudel des Wettrüstens hineingerissen. In Belgien ist in Anlehnung an das Wort von dem bewaffneten Frieden das Wort von der bewaffneten Neutralität aufgekommen. Japan stand im vorigen Jahre beinahe vor dem Staatsbankrott; China wird bei Aufnahme neuer Anleihen zu neuen Rüstungen förmlich gezwungen.
Man hat uns nun viel darüber erzählt, daß eine neue Ära angebrochen sei, der berühmte Wehrbeitrag und die Reichswertzuwachssteuer![1] Wir hätten nun keinen Grund mehr, gegen die Militärvorlagen zu stimmen, denn die Kosten zahlten ja die Reichen. Es ist allerhöchste Zeit, daß wir dieser neuen Ära kritisch entgegentreten. Die 28 Milliarden Mark, die der Militarismus in den letzten vierzig Jahren verschlungen hat, haben ausschließlich die arbeitenden Massen aufgebracht. Wo aber nehmen die Reichen die Millionen her, die sie jetzt mit großer Geste auf dem Altar des Vaterlandes opfern, wie sie so schön sagen? Sie kommen aus den Fabriken und Werkstätten des arbeitenden Volkes, sie sind Resultate der Arbeit, aus der Haut der arbeitenden Klassen werden auch die neuen Riemen geschnitten. (Sehr richtig!) Ist das schon ein Patriot, der von seinem Überflusse gibt? Wer hat denn den Vorteil von den Rüstungen? Während die arbeitenden Klassen ihre Interessen oft vernachlässigt haben, weil sie es nicht anders verstanden haben (die Geschichte gibt uns Beispiele in Fülle), weil es die Herrschenden verstanden haben, das Proletariat vor ihren Wagen zu spannen, haben die Besitzenden sehr wohl erkannt, was ihren Zwecken dient. Krupp und die anderen Rüstungslieferanten machen glänzende Geschäfte dabei. Was verschlägt es ihnen, wenn sie aus der rechten Tasche einen Beitrag liefern; sie wissen, daß er ihnen mit Zins und Zinseszins in die linke Tasche zurückfließt. Die Massen des Proletariats sind dem Kapital zur Ausbeutung ausgeliefert. Immer wieder ist es die Arbeiterschaft, die die Kosten aufzubringen hat; sie zahlt die Kosten auf dem Umwege durch die Taschen der Kapitalisten. Gewiß müssen wir die Arbeiterklasse soviel wie möglich mit Steuern schonen und die Kassen der Herrschenden zu belasten suchen. Aber vor der Illusion müssen wir uns hüten, anzunehmen, daß die Belastung der Reichen das Proletariat entlaste. So weit ist es gekommen, daß die Aus-
[1] Ende März 1913 war im Deutschen Reichstag eine Militär- und Deckungsvorlage eingebracht worden, die die größte Heeresverstärkung seit Bestehen des Deutschen Reiches vorsah. Ein Teil der zusätzlichen finanziellen Mittel sollte durch einen außerordentlichen Wehrbeitrag und durch Besteuerung aller Vermögen über 10000 M aufgebracht, der übrige Teil auf die Schultern der Bevölkerung abgewälzt werden. Am 30. Juni wurde die Militär- und Deckungsvorlage im Deutschen Reichstag angenommen. Die sozialdemokratische Fraktion lehnte die Militärvorlage ab, stimmte aber einer einmaligen Vermögensabgabe (dem sog. Wehrbeitrag) und einer Vermögenszuwachssteuer zur Finanzierung der Heeresvorlage zu. Im Namen der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion gab Hugo Haase vor der Abstimmung über die einzelnen Gesetze der Deckungsvorlage eine Erklärung ab, in der dem außerordentlichen Wehrbeitrag und der Besitzsteuer zugestimmt und dies als Anfang der von der Sozialdemokratie geforderten Steuerpolitik bezeichnet wurde. Der Abstimmung waren scharfe Auseinandersetzungen in der Fraktion vorausgegangen, die damit endeten, daß unter Mißbrauch der Fraktionsdisziplin der Widerstand von 37 Abgeordneten unterdrückt wurde. Diese Zustimmung zu den Gesetzen bedeutete das Aufgeben des Grundsatzes „Diesem System keinen Mann und keinen Groschen“. Siehe dazu Die Reichstagsfraktion und die Militärvorlage. In: GW, Bd. 3, S. 267 ff.