Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 800

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hat unter der Last der Teuerung schwer und schwerer zu kämpfen. Selbst im Jahre 1911, während des Sommers, in der höchsten Blüte des Wirtschaftslebens, bekamen wir Kunde von Hungerkrawallen aus vielen großen Städten Europas. Mitten im strotzenden Reichtum des Volkes, von dem uns die Statistik ein einseitiges Bild gibt, schrie das Proletariat vor Hunger auf. Wir stehen hier vor einem Phänomen, das uns zu denken gibt. In England sind die Löhne besser als in anderen Ländern; das englische Handelsamt hat statistisch festgestellt, daß die Ausgaben für das tägliche Leben in den letzten acht Jahren dreimal so stark gewachsen sind als die Arbeiterlöhne.

Die jetzt eintretende Krise ist keine gewöhnliche Erscheinung wie die Krisen der vorhergegangenen Perioden. Der Gegensatz zwischen reich und arm hat sich verschärft wie nie zuvor, und die Arbeiterschaft hat alle Ursache, wachsam zu sein. Neben der Krise peitscht uns die Geißel der Teuerung und die Preispolitik der Kartelle, die absichtlich und zielbewußt die Teuerung hervorruft.

Wenn wir einen Blick auf die politische Verwendung der Zölle und Steuern werfen, wird unser Auge direkt auf den Imperialismus hingelenkt. Was die Militärvorlagen anbetrifft, sie sind uns seit Jahrzehnten nichts Neues. Aber die Orgien des Militarismus sind in der letzten Zeit in einem so ungeheuren Maße in die Erscheinung getreten, daß sie der ganzen politischen Lage eine ganz neue Physiognomie verliehen haben. Mit der gewaltigen Flottenvorlage Englands im Jahre 1911 begann Staatsminister Grey von der Notwendigkeit einer allgemeinen Abrüstung zu sprechen.[1] Es gab unter uns Sozialdemokraten gutmütige Leute genug, die diese Ministeräußerung ernst genommen haben und sagten: Seht, ein englischer Staatsminister erklärte selbst, daß es so nicht weitergehen kann! Und sie forderten die deutschen Minister auf, in die Fußstapfen des klugen Engländers zu treten. Aber sie bemerkten nicht, daß, während der englische Staatsminister seinen Abrüstungsvorschlag machte, er den Entwurf einer neuen Flottenvorlage bereits in der Tasche hatte. Ministerreden und Ministerhandlungen sind zweierlei Dinge. Churchill hat eine neue Idee gebracht: Er sprach davon, man könnte mitten im Rüsten sich einmal hinsetzen und auf ein Jahr verschnaufen.[2] Wir sollten ein Feierjahr einlegen. Wir haben aber allen Grund, zu glauben, daß wir hier nichts als einen diplomatischen Demagogentrick vor uns haben. In England wurde 1912 eine ungeheure Flottenvorlage angenommen, gleichzeitig

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[1] Am 13. März 1911 hatte der Außenminister Sir Edward Grey anläßlich der Vorlage des neuen Marineetats im englischen Unterhaus über Möglichkeiten der Rüstungseinschränkung, speziell eines Vertrages mit Deutschland gesprochen, da die Rüstungsausgaben ein „Verbluten in Friedenszeiten“ bedeuten würden. Der Marineetat wurde angenommen und brachte gegenüber dem Vorjahr eine Erhöhung der Ausgaben um vier Mill. £.

[2] Am 18. März 1912 hatte der erste Lord der Admiralität Churchill den Marineetat eingebracht. Die gewaltigen englischen Seerüstungen erklärten sich allein aus der Rücksicht auf die deutsche Flotte. Er sagte: „Angenommen, wir machten beide ein Jahr Ferien, um im Buch des nationalen Mißtrauens ein weißes Blatt einzufügen, angenommen Deutschland würde in diesem Jahr keine Schiffe bauen, so würde es sechs bis sieben Millionen Pfund Sterling sparen.“ Siehe Deutscher Geschichtskalender. Begründet von Karl Wippermann, Jg. 1912, I. Bd., Januar bis Juni, Leipzig o. J., S. 209.