Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 786

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da an internationale Streiks gedacht. Es ist auch nicht anders möglich. Wo Produktion und Transportwesen sich in solchem Maße konzentrieren, die Arbeitsteilung in solchem Maße entwickelt, wo immer mehr für den Weltmarktbedarf produziert wird und der Produktionsprozeß der ganzen Welt sich zu einem, wenn auch noch schlecht zusammengefügten Ganzen gestaltet, da muß der Kampf zwischen Kapital und Arbeit ganze Völker umfassen. Aber nicht nur auf ökonomischem Boden ist dies der Fall. Die Zusammenstöße des Staates mit der Arbeiterklasse werden immer heftiger. In dem Maße, wie der Kapitalismus wächst, fordert der Staat, der durch Bürokratie und Militarismus zu einer selbständigen Kraft gewordene Hüter der bürgerlichen Gesellschaft, immer mehr für sich. Die Lasten, die dem arbeitenden Volke auferlegt werden, der Teil des Mehrwertes, den der Staat für sich beansprucht, werden immer größer. Sie übersteigen bei weitem das Wenige, das den Arbeitern in Gestalt von Versicherungen, Renten usw. zurückgegeben wird. Die Ansprüche, welche die Arbeiter an den Staat erheben, mehren sich mit dem Wachstum ihres Selbstbewußtseins und ihrer Organisation. Militarismus und Imperialismus, Einfuhrzölle, der Zerfall des Liberalismus, das Wiederaufleben der Reaktion einerseits, der Stillstand oder der Schneckengang der Arbeitergesetzgebung andererseits, das alles kann nur aufstacheln zu einem immer weiter um sich greifenden Kampfe, auch auf politischem Gebiet. Gleichzeitig sehen wir, wie die Arbeiterklasse, im Bewußtsein der zunehmenden Größe und Macht der Gegner wie auch ihrer eigenen Kräfte, sich umsieht nach neuen Mitteln, um im größeren Umfang, mit womöglich größerem Erfolg und vielleicht siegreich, zu kämpfen. Von diesen Mitteln ist der Massenstreik dasjenige, über das am meisten gesprochen wird und in verschiedenen Ländern zur Anwendung gekommen ist. Gleichviel wie unser Urteil über dieses Mittel an sich lautet, die Tatsache, daß wir durch das Wachsen des Kampfes gezwungen werden, dessen Anwendung in Erwägung zu ziehen, muß einen jeden mit Freude erfüllen. Das Wachsen des Kampfes kann nur das Zeichen entscheidender Schläge, das Näherkommen des Sieges sein. (Lebhafter Beifall.) Es fällt sofort ins Auge, daß der politische Streik ein extremes, ein wenigstens noch zur Zeit gefährliches Mittel ist. Weshalb? Weil es ein Mittel ist, das die kapitalistische Gesellschaft in ihrer allgemeinen und höchsten Organisation, dem Staate, angreift. Das allgemeine Interesse der ganzen Bourgeoisie wird angegriffen, jede Konzession gegenüber diesem Gewaltmittel bedeutet für die Bourgeoisie ein partielles Preisgeben ihrer Totalmacht, ein erstes Bekenntnis: Das Proletariat ist mächtiger als die besitzende Klasse. Gibt es noch andere Gewaltmittel, die die Arbeiterklasse vielleicht brauchen könnte und die mehr Garantien für den Erfolg bieten, als den Massenstreik? Wir finden dann in der Geschichte

1. Den bewaffneten Aufstand. An ihn kann aber nicht gedacht werden, solange die Armee ein willenloses Werkzeug in den Händen der Regierung ist. (Zustimmung.)

2. Die Steuerverweigerung. Das Proletariat zahlt aber zu wenig direkte Steuern, als daß mit ihr etwas anzufangen wäre. (Zustimmung und Widerspruch.)

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