Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 781

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Zahmheit wurde alsbald das Handwerk gelegt, und bald stand die Partei in jener stolzen und schroffen Kampfposition, welche den Schlußworten Bebels im Reichstag entsprach, die er den Schöpfern des Schandgesetzes ins Gesicht schleuderte, als er im Jahre 1881 dessen dreijährige Praxis beleuchtete: „Ihre Waffen werden in diesem Kampfe zersplittern wie Glas am Granit!“[1]

Das Sozialistengesetz fiel, der Knüttel der brutalen Gewalt, der die Klassenbewegung des Proletariats niedermachen sollte, wurde der Bourgeoisie in Stücke zerschlagen vor die Füße geworfen. Und abermals erfolgte in den Reihen der Sozialdemokratie eine geistige Krise, diesmal eine doppelte. Auf der einen Seite hob die Politik „des Kriechens und der Zahmheit“ das Haupt als kluge Staatsmannsweisheit, die nach der erzwungenen Wiederherstellung des gesetzlichen Daseins der Sozialdemokratie, dem „guten Willen“ der Herrschenden „die offene Hand“ des Proletariats entgegenstrecken wollte.[2] Auf der anderen Seite vermochten sich anarchistisch verworrene Köpfe mit der nun notwendig gewordenen Änderung in den Kampfmethoden nicht abzufinden und glaubten, daß mit dem Aufgeben des äußeren Apparats des „Revolutionarismus“ notwendig auch der wirkliche revolutionäre Kern des sozialdemokratischen Kampfes aufgegeben werden müßte. Vor der opportunistischen Gefahr des bayerischen Staatssozialismus[3] wie vor der anarchistischen Gefahr der „Jungen“[4] galt es die Partei zu bewahren, und hier stand wieder Bebel mit in erster Reihe neben Liebknecht, Auer, Singer, um mit seinem feurigen Temperament, seiner jugendlichen Elastizität, seiner zielklaren Festigkeit nach zwei Fronten zu schlagen, um wieder zwischen praktischer Realpolitik und revolutionärem Endziel jenes richtige Verhältnis, jenes Gleichgewicht herzustellen, das die Existenzbasis der Sozialdemokratie und das Geheimnis ihrer wachsenden Macht bildet.

Noch war kein Jahrzehnt der Parteientwicklung unter den neuen Bedingungen verflossen, als in der Sozialdemokratie eine neue innere Krise begann, diesmal eine

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[1] Siehe Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags. 4. Legislaturperiode, IV. Session 1881, Erster Band, Berlin 1881, S. 658.

[2] Gemeint sind Georg von Vollmars sog. Eldorado-Reden, in denen er am 1. Juni und 6. Juli 1891 in München seine opportunistische Taktik begründet hatte. Mit seiner Forderung, durch Reformen eine allmähliche Umgestaltung der kapitalistischen Gesellschaft einzuleiten, verlangte er den Verzicht auf revolutionären Klassenkampf.

[3] Im Juli 1892 hatte Georg von Vollmar seine Theorie vom sog. Staatssozialismus propagiert, wonach eine umfassende Verstaatlichung der kapitalistischen Wirtschaft ein schrittweises friedliches Hineinwachsen in den Sozialismus bedeutet. Auf dem Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands 1892 in Berlin war eine Resolution einstimmig angenommen worden, in der diese Theorie als unvereinbar mit den Aufgaben der revolutionären Sozialdemokratie entlarvt wurde.

[4] Die „Jungen“ waren eine linkssektiererische Gruppe, die sich gegen die allseitige Ausnutzung der legalen Möglichkeiten für die Tätigkeit der Partei wandte und besonders die von der Partei ausgearbeitete revolutionäre Parlamentstaktik verneinte. Sie versuchten, der Partei eine Verschwörertaktik aufzuzwingen. Sie wurden auf dem Parteitag in Halle 1890 einmütig zurückgewiesen. Auf dem Parteitag in Erfurt 1891 wurden ihre Wortführer aus der Partei ausgeschlossen. Sie gründeten eine eigene Organisation, den Verein Unabhängiger Sozialisten, der einflußlos blieb.