Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 779

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Bebel der erste in der Eisenacher Partei, der sich offen zur revolutionär-sozialistischen Lösung der Grund- und Bodenfrage bekannte und sich dadurch zugleich auf die Seite der Internationale im Marxschen Sinne stellte.[1]

Im Deutschen Reichstag führte Bebel vom ersten Augenblick an, wo er allein die Sozialdemokratie vertrat, wie später an der Spitze einer wachsenden Schar von Abgeordneten denselben zähen Kampf wie vorher im Parlament des Norddeutschen Bundes. Er verfocht alle Verbesserungen in der Lage der Arbeiter, er leistete alle praktische Parlamentspolitik, die unter den gegebenen Umständen irgend zu leisten war. Als sich aber auf die gefallene Pariser Kommune alle Geier der bürgerlichen Reaktion stürzten, entrollte Bebel im reichsdeutschen Parlament entschlossen die revolutionäre Standarte und rief laut: „… seien Sie fest überzeugt, das ganze europäische Proletariat und alles, was noch ein Gefühl für Freiheit und Unabhängigkeit in der Brust trägt, sieht auf Paris …, und wenn auch im Augenblick Paris unterdrückt ist, dann erinnere ich Sie daran, daß der Kampf in Paris nur ein kleines Vorpostengefecht ist, daß die Hauptsache in Europa uns noch bevorsteht und daß, ehe wenige Jahrzehnte vergehen, der Schlachtruf des Pariser Proletariats ‚Krieg den Palästen, Friede den Hütten, Tod der Not und dem Müßiggange!‘ der Schlachtruf des gesamten europäischen Proletariats werden wird.“[2]

Bei dieser Gelegenheit bereits hatte sich Bebel jenes Verbrechens schuldig gemacht, das ihm nachher den bissigen Spott überlegener bürgerlicher Professoren und den sanften Vorwurf manches bedächtigen Parteiskeptikers einbringen sollte: er „prophezeite“. Das heißt, er gab schon damals den felsenfesten Glauben an die Realisierbarkeit der sozialistischen Endziele – nicht in den blauen Fernen der Unendlichkeit, sondern in greifbarer, mehr oder minder berechenbarer Zukunft – den lapidaren Ausdruck, indem er von „wenigen Jahrzehnten“ sprach, die uns noch von der Entscheidungsschlacht in dem Weltringen zwischen Arbeit und Kapital trennen. Der historische Weg hat sich in den Niederungen der kapitalistischen Gesellschaft etwas länger ausgedehnt, als es dem kühnen Blick Bebels im Jahre 1871 erschien, wie sich dieser Weg als länger herausgestellt hatte, als die Schöpfer des „Kommunistischen Manifestes“ ein Menschenalter früher mutmaßten. Was verschlug’s aber? Da es nicht die flackernde Ungeduld eines politischen Utopisten, sondern der eherne revolutionäre Glaube des Realpolitikers an die Endziele und Richtlinien seiner Politik war, was aus Bebels Prophezeiung sprach, so wurde er durch die nachfolgenden Jahrzehnte, trotzdem noch der Anfang vom Ende nicht eintreffen wollte, nicht etwa der Enttäuschung und dem Mißmut in die Arme geworfen, sondern umgekehrt in seinem Glau-

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[1] Am 6. Juni 1870 hatte August Bebel auf dem Kongreß der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei in Stuttgart die Notwendigkeit begründet, Grund und Boden in Gemeineigentum umzuwandeln, um die Bauern als Bundesgenossen der Arbeiterklasse zu gewinnen. Eine entsprechende Resolution Bebels war vom Kongreß angenommen worden.

[2] Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages. I. Legislaturperiode, I. Session 1871, Zweiter Band, Berlin 1871, S. 921.