Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 745

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gerichte in Polen veröffentlicht hat, werden zu den greulichsten Dokumenten der Konterrevolution gehören. Und den Schergen des Zarismus, den General Kasnakow, der dieses Satanswerk dirigierte, feierte die Bourgeoisie von Łódź in Champagnergelagen.

Die Jahre 1907 bis 1912 waren für die Łódźer Arbeiterklasse viel ärger als die vor der Revolution. Das Kapital nahm Revanche. Die Löhne wurden so sehr heruntergedrückt, daß oft Mann und Weib zehn M wöchentlich verdienten. Die Meister und Ingenieure wüteten. Alle Organisationen wurden zertrümmert, die Versuche, sie wieder aufzubauen, wurden dank der Niedergedrücktheit der Arbeiterklasse und der Spitzelwirtschaft immer wieder unterbrochen, so daß, im Gegensatz zu Warschau mit seinen Tausenden Arbeitern, die sich unter dem Einfluß der regelmäßig funktionierenden sozialdemokratischen Organisation befinden – wie es die Wahlkampagne und die Versicherungskampagne glänzend zeigen, – in Łódź die sozialdemokratische Organisation jetzt noch sehr schwach ist. Aber Grenzen hat auch die Ausbeutung und Niederdrückung der Arbeiterklasse. Sie erreichte sie im Winter dieses Jahres. Dank der Mißernte des Jahres 1911 und der Erschütterung des Geldmarktes unter dem Einfluß der Balkankrise entstand in Łódź, im Gegensatz zur noch aufsteigenden allgemeinen Konjunktur in Rußland, eine wirtschaftliche Krise. Ein Drittel der Arbeiter blieb ohne ein Stückchen Brot, das zweite Drittel arbeitete nur einen Teil der Woche, auf die Löhne des ersten Drittels drückte die enorme Armee der Arbeitslosen. Leute fielen auf den Straßen wie Mücken [um], zwölfjährige Arbeitermädchen verkauften ihren Leib. Jeder Versuch einer organisierten Arbeiterhilfsaktion wurde von der Regierung durchkreuzt. Dafür erlangte die Stadtverwaltung von der Regierung die Erlaubnis, 200000 M für Notstandsarbeiten zu verausgaben, und ein Fabrikantenkomitee verteilte unter die 30000 Arbeitslosen – die zirka ein halbes Jahr ohne Arbeit waren – 160000 M, die dabei zum großen Teil dem arbeitenden Teil des Łódźer Proletariats vom Munde abgeknappt waren.

Jetzt hat sich die Konjunktur wieder gebessert. Die Armee der Arbeitslosen begann sich zu mindern. Da ging ein Ruck durch die Massen. Sie hatten sich noch keinen Tag satt gegessen, die vom Winter her erstarrten Glieder noch nicht ordentlich gewärmt: und schon rückten sie zum Kampf. Nach dem Hunger der Arbeitslosigkeit in das Hungerjoch der Arbeit zu gehen, das konnten sie nicht ertragen. Überall stellten sie die Forderung nach der Erhöhung der Löhne um 30 Prozent, denn um soviel wurden sie ihnen allein im letzten Jahre gemindert. Nur ein kleiner Teil der Fabrikanten hat nachgegeben. Der größere will die Arbeiter wieder „erziehen“, sie an den Hungertod gewöhnen. Auf die Weigerung der Fabrikanten folgten Streiks, auf die

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